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„Ich konnte zehn Jahre lang nur trauern“

6.10.2004
„Ich konnte zehn Jahre lang nur trauern“Juliane Lorenz, die Cutterin der letzten vierzehn Filme von RWF, leitet eine Stiftung, die dem Werk ihres Lebensgefährten gewidmet ist.

Von unserer Korrespondentin in Berlin

 

Die Adresse liegt in einem vornehmen Viertel, ganz in der Nähe des Kurfürstendamms. Neben der Klingel stehen vier Buchstaben: RWFF. Rainer Werner Fassbinder Foundation. Energiegeladen und ohne Umschweife stellt sich die Vorsitzende der Stiftung, Juliane Lorenz, mit einem freundlichen Lächeln vor: „Ich war die Cutterin der letzten vierzehn Filme von Fassbinder und seine letzte Lebensgefährtin. Wir haben sechs Jahre lang zusammen gelebt.“ Als Erbin des Fassbinder-Fonds setzt sie sich dafür ein, das Andenken an den bekanntesten deutschen Filmemacher zu bewahren. Eine Retrospektive in New York, ein Kolloquium in Italien, die Herausgabe von DVDs in Paris, die Vorarbeiten für die Herausgabe seiner gesamten schriftlichen Werke in Deutschland, alles läuft über sie. Böse Zungen behaupten, sie habe das Werk ihres berühmten Liebhabers an sich gerissen. Sie schüttelt ihren langen blonden Pferdeschwanz: „Ich will Fassbinder nicht ganz für mich alleine behalten. Alle sollen sein Werk kennen lernen. Rainer hatte ein einzigartiges Talent. Er hat nicht nur 44 Filme gedreht, er hat auch viel geschrieben. Wir haben noch lange nicht alles veröffentlicht.“

 

Juliane Lorenz lernte Rainer Werner Fassbinder 1976 bei den Dreharbeiten zu „Chinesisches Roulette“ kennen. Sie hatte gerade mit dem Studium der Politikwissenschaften begonnen und wollte sich etwas dazuverdienen. Ihre Mutter arbeitete damals bei der Bavaria und empfahl sie einer Freundin, die sie zu Ila von Hasberg schickte. Diese war auf der Suche nach einer Assistentin. Juliane kannte natürlich den unkonventionellen Ruf von Fassbinder. Er hatte bereits „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, „Effi Briest“, „Mutter Küsters’ Fahrt zum Himmel“ etc. gedreht. Sie hatte jedoch nur „Angst essen Seele auf“ gesehen und war „sehr beeindruckt“. Sie träumte damals davon, selbst Filme zu drehen. Das Schicksal hat es anders gewollt.

Im Juni 1977 betraute Fassbinder Reginald Beck, der zuvor mit Losey und Resnais mehrere Filme gemacht hatte, mit dem Schnitt von „Despair – Eine Reise ins Licht“. Fassbinder war als Mitglied der Jury der Berliner Filmfestspiele beschäftigt und merkte erst in letzter Minute, dass Beck seinen Film absolut nicht verstanden hatte. Er und Juliane verbrachten die ganze Nacht damit, den Film, den er am nächsten Morgen bei der Bavaria vorführen sollte, komplett neu zu schneiden. Und so wurde Juliane zu seiner ständigen Cutterin. Eines Tages fragte Fassbinder sie, ob sie nicht mit ihm zusammen wohnen wolle. Er hatte sich gerade von seinem Freund, Armin Meier, getrennt, der kurz darauf Selbstmord beging. „Rainer ging es sehr, sehr schlecht“ erzählt Juliane. „Er hatte ein paar qualvolle Jahre hinter sich und sehnte sich nach Beständigkeit. Das passt überhaupt nicht zu dem Bild, das die Leute sich von ihm gemacht haben. Aber so war es. Ab der „Ehe der Maria Braun“ zählte für ihn nur noch die Arbeit.“

1982 war er von dem Gedanken besessen, in Cannes mit „Querelle“ die goldene Palme zu gewinnen. Er konnte nicht mehr schlafen, schluckte riesige Mengen Valium, schnupfte gleichzeitig Kokain. Am 10. Juni 1982, nach der Niederlage von Cannes, hatte Juliane bis 4 Uhr früh an ihrem Schneidetisch gearbeitet, als sie nach Hause kam. Rainer lag nackt auf seinem Bett. Tot. Überdosis. Er arbeitete damals gerade an einer Verfilmung des Lebens von Rosa Luxemburg. „Und das war’s!“ seufzt Juliane. Witwe mit 26.

„Ich konnte 10 Jahre lang nur um ihn trauern“, erzählt sie. „Ich konnte seine Schriftstücke nicht anfassen.“ Als Fassbinder starb, erklärte sich seine Mutter Liselotte Eder, die in über der Hälfte seiner Filme mitspielte, insbesondere unter dem Namen Liselotte Pempeit (die Mutter von Effi Briest, Mutter Gast in „Die dritte Generation“, die Sekretärin in „Mutter Küsters“ etc.), damit einverstanden, dass Juliane den gesamten gemeinsamen Hausstand in ihrer Münchner Wohnung behielt: „Wir hatten in den USA geheiratet, aber die Ehe wurde nicht anerkannt“. Als Geschäftsführerin von Tango Films kümmerte sich Liselotte Eder um den Nachlass ihres Sohnes. 1986 gründete sie die RWFF, eine in ihrer Art einmalige Stiftung. „Sie war eine sehr intelligente Frau“ erklärt Juliane. „Sie wusste, dass nur durch schnelles Handeln verhindert werden konnte, dass die Rechte an seinen Filmen in alle Himmelsrichtungen verstreut werden.“ Denn die Filmemacher der siebziger Jahre arbeiteten beim Schreiben und bei der Produktion ihrer Filme oft mit mehreren Filmgesellschaften zusammen. Daher waren ein paar Klagen notwendig, um die Rechte an einigen Filmen zu erstreiten. Inzwischen ist die RWFF die stolze Inhaberin der weltweiten Rechte an 30 der 44 Fassbinder-Filme. Ein einziger Film, den der angehende Filmemacher zum Abschluss der Filmhochschule in München gedreht hatte, ist verschollen.

1992 übernahm Juliane die Leitung der RWFF. „Es war Rainers zehnter Todestag. Ich fühlte mich seinem Werk verpflichtet.“ Im Sommer organisierte sie eine große Retrospektive im Berliner Fernsehturm, mit Filmen, Fotos, Briefen und Drehbüchern, die durch Europa, Südamerika und Asien reiste. Angespornt durch diesen Erfolg beschloss sie fünf Jahre später, die USA zu erobern. Hanna Schygulla, Ingrid Caven, Margit Carstensen, Irm Hermann, Barbara Sukowa, Rosel Zech … sämtliche Fassinder-Frauen sind bei der Eröffnungsfeier des MoMa (Museum of Modern Art) in New York anwesend. Es wird sogar eine amerikanische Zweigstelle der Fassbinder-Stiftung gegründet mit berühmten Zeitgenossen wie Armin Müller-Stahl, Peter Bogdanovich und Susan Sontag im Beirat.

Und in Frankreich? „Ich würde mich freuen, wenn es da so gut laufen würde wie in Amerika, aber dort ist alles noch sehr kompliziert“, erläutert Juliane Lorenz. „Es gibt noch keine guten Biografien, und sogar die von Thomas Elsaesser wurde immer noch nicht übersetzt. Ich bemühe mich, französische Verlage zu finden, die sich für seine Schriften interessieren.“ Und dabei hat die RWFF noch jede Menge unveröffentlichtes Material. Außer den Theaterstücken sind da noch bisher unveröffentlichte Gedichte, die zwischen 1962 und 1967 entstanden sind. Das „geniale Monster“, wie die Deutschen ihn nannten, drehte nicht nur Filme, er schrieb auch unablässig.

Das Vorhaben von Carlotta Films, eine mehrteilige Fassbinder-Retrospektive ins Programm zu nehmen und seine Filme gleichzeitig auf DVD herauszubringen, konnte Juliane Lorenz nur begrüßen. In Deutschland sind bereits 13 Titel auf DVD erhältlich, die nächsten acht kommen 2005 auf den Markt. In den USA sind es bereits achtundzwanzig. Frankreich war der nächste Schritt. „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie teuer und technisch aufwändig das Brennen von DVDs ist“, erzählt Juliane. „Um neue Kopien zu erstellen, müssen die Negative einzeln bearbeitet werden, vor allem, wenn die Farben verblasst sind.“ Eine wahre Sisyphos-Arbeit. „Manchmal denke ich, wenn Rainer uns von da oben zusieht, lacht er bestimmt herzlich.“ Er hat sechzehn Jahre gebraucht, um seine Filme zu drehen. Die Stiftung besteht inzwischen seit fast zwanzig Jahren. Und sie hat die Archivierung und den Vertrieb seiner Filme immer noch nicht abgeschlossen.

Odile Benyahia-Kouider

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