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Newsletter Juni 2016

All That Heaven AllowsAm 10. Juni jährte sich der Todestag von Rainer Werner Fassbinder zum 34. Mal. Der Filmkritiker John Patterson nahm diesen Termin zum Anlass, um im Guardian seiner Verehrung für den Regisseur Ausdruck zu verleihen. In seinem Text beschreibt er, wie er als jugendlicher Filmliebhaber von der Todesnachricht völlig aus der Bahn geworfen wurde. Für den Autor fällt Fassbinders Tod mit dem Ende einer goldenen Ära im europäischen Film zusammen, in dem dieser einen Gegenentwurf zum kommerziellen Kino darstellte: „These were cinema movements that answered back: against the past, against father figures and the vapid, kitschy films they made; against monolithic Hollywood, seen as exploitative and invasive against [..] [Russian studio] Mosfilm and its numbskull apparatchiks; against tweeness, quaintness; against ‚entertainment‘ and consolation; against formal timidity.“ Den gesamten Artikel kann man hier nachlesen: https://www.theguardian.com/film/2016/jun/13/a-tribute-to-rw-fassbinder-cinemas-fierce-contrarian

Der Gegensatz zwischen künstlerischem und kommerziellem Kino, den Patterson in seinem Text mehrmals anspricht, ist nicht unproblematisch.
Auch Fassbinder kritisierte zwar immer wieder die Verlogenheit Hollywoods, war aber auch zugleich ein Verehrer von Regisseuren wie Howard Hawks, Michael Curtiz, Nicholas Ray und Raoul Walsh – wie man erst kürzlich bei einer Reihe mit seinen Lieblingsfilmen im New Yorker Kino Metrograph sehen konnte (http://metrograph.com/series/series/13/fassbinders-top-10).

Einen besonderen Stellenwert nahm für RWF natürlich Douglas Sirk ein. Dieser musste selbst oft mit dem Vorurteil kämpfen, er drehe lediglich sentimentale Frauenfilme. Die meisterhafte Inszenierung und soziale Sprengkraft seiner Werke wurden von der zeitgenössischen Kritik weitgehend übersehen. Fassbinder entdeckte Sirk bei einer Retrospektive in München und drehte mit ANGST ESSEN SEELE AUF ein freies Remake von ALL THAT HEAVEN ALLOWS (auf den sich auch Todd Haynes, wiederum ein Bewunderer Fassbinders, in seinem Film FAR FROM HEAVEN bezieht). Das Berliner Zeughauskino zeigt vom 8. Juli bis zum 18. September einen Großteil von Sirks Schaffen auf 35mm. Die Spannbreite reicht dabei von den düsteren Heimatfilmen und leichten Musikkomödien aus dem Deutschland der 1930er Jahre bis zu den bekannten amerikanischen Melodramen der 1950er. Zusätzlich widmet sich ein Programm Sirks Arbeit an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film in den späten 1970er Jahren. Aus der Arbeit mit den Studenten entstanden damals drei szenische Übungen nach Tennessee Williams, darunter auch der Kurzfilm „Bourbon Street Blues“, in dem Fassbinder als Schauspieler auftritt. Das gesamte Programm der Reihe kann man sich hier ansehen: http://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihen/douglas-sirk.html

Einen von Fassbinders eigenen Filmen kann man an der Berliner Volksbühne gerade in ungewohntem Kontext erleben. Vor zwei Wochen feierte dort Frank Castorfs über fünfstündiger Theaterabend „Die Kabale der Scheinheiligen. Das Leben des Herrn de Molière“ seine Premiere. In der Inszenierung werden nicht nur Motive von Michail Bulgakow, Pierre Corneille, Molière und Jean Racine verarbeitet, sondern auch Szenen aus dem Film WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE nachgespielt. Hauptdarsteller Alexander Scheer gibt darin eine cholerische Fassbinder-Imitation. Vor den Theaterferien ist das Stück noch am 25. Juni sowie am 1. und am 9. Juli zu sehen. Karten gibt es hier: http://www.volksbuehne-berlin.de/praxis/die_kabale_der_scheinheiligen_das_leben_des_herrn_moliere/?id_datum=10418

In einem Vogue-Artikel hat die Autorin Janelle Okwodu vor einigen Wochen den Einfluss von Fassbinders Filmen auf die Modewelt hervorgehoben. Besonders geht es dabei um Kollektionen von Miuccia Prada, Max Mara und Kai Kühne, die sich ästhetisch auf DIE EHE DER MARIA BRAUN, LOLA, DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT und QUERELLE beziehen. Den Text kann man hier nachlesen: http://www.vogue.com/13435429/rainer-werner-fassbinder-fashion-influence-documentary/. Wer in dem Artikel leider unerwähnt bleibt, sind die Kostüm- und Maskenbildner, die an den Filmen beteiligt waren. Aus diesem Grund möchte wir an dieser Stelle noch auf die nicht zu unterschlagende Leistung von Barbara Baum, Monika Jacobs, Egon Strasser und Maja Lemcke sowie von Edwin Erfmann, Hedy Polensky, Gerhard Nemetz, Ingrid Massmann, Peter Müller, Margarethe Ullmann und Anni Nöbauer hinweisen.

In Berlin lässt sich gerade beobachten, wie das Werk Fassbinders eine spannende Korrespondenz mit den Arbeiten jüngerer Künstler eingeht. Parallel zur Berlin Biennale hat die Sammlerin Julia Stoschek eine Dependance in der Leipziger Straße errichtet. Gezeigt wird dort die Ausstellung „Welt am Draht“ – benannt nach Fassbinders zweiteiligem Fernsehfilm. In seiner Adaption von Daniel F. Galouyes Science-Fiction-Roman „Simulacron-3“ erzählt RWF von einem Supercomputer, der eine perfekt simulierte Wirklichkeit entworfen hat. Die Bewohner dieser Welt haben zwar ein Bewusstsein, wissen selbst aber nicht, dass sie keine Menschen sind. Die sehr gelungene Ausstellung knüpft an dieses Szenario an und zeigt medienbasierte Werke, die sich mit der zunehmenden Bedeutung von Virtualität in unserer Welt beschäftigen. Unter den Arbeiten befinden sich eine Echtzeitsimulation des New Yorker Künstlers Ian Cheng, eine dystopische Video-Installation von Wu Tseng, in der eine Gruppe queerer Outcasts über Displays kommuniziert, sowie Camille Henrots grotesk deformierte Telefone, die keine Kommunikation zulassen. Die Ausstellung ist noch bis zum 18. September zu sehen.
Nähere Informationen gibt es hier: http://www.jsc.berlin/

Nächsten Monat melden wir uns wieder mit einem neuen Newsletter, in dem es unter anderem um den großen Kurt Raab gehen wird. Am 20. Juli hätte er seinen 75. Geburtstag gefeiert. Bis dahin wünschen wir unseren Freunden und Lesern eine schöne Zeit.

Mehr zu den Filmen von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/filme-von-fassbinder/ DE
http://www.fassbinderfoundation.de/filme-von-fassbinder/?lang=en EN
http://www.fassbinderfoundation.de/filme-von-fassbinder/?lang=fr FR

Foto links: ALL THAT HEAVEN ALLOWS © Universal
Foto rechts: „Die Kabale der Scheinheiligen. Das Leben des Herrn de Molière“ © Thomas Aurin

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