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Newsletter März 2017

Die Berlinale ist vorbei – und die Uraufführung der digital restaurierten Fassung von Fassbinders Fernsehserie ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG war ein voller Erfolg. Für alle Berliner, die es nicht zu den Screenings geschafft haben, gibt es am 31. März und 1. April eine weitere Gelegenheit: Im KulturRaum Zwinglikirche in Friedrichshain werden an zwei Abenden nicht nur alle fünf Folgen der Serie gezeigt, sondern auch die Dokumentation ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG: EINE SERIE WIRD ZUM FAMILIENTREFFPUNKT von Juliane Maria Lorenz. Beginn ist jeweils um 19:00 Uhr, und Karten gibt es auf der Website des KulturRaums (https://www.kulturraum-zwinglikirche.de/veranstaltungen/fassbinder-weekend/) oder an der Abendkasse. Allen anderen sei noch einmal die DVD- und Blu-ray-Box von Studiocanal ans Herz gelegt: http://www.studiocanal.de/dvd/fassbinders_acht_stunden_sind_kein_tag-digital_remastered

Ein weiteres Berlinale-Highlight war für die Fassbinder Foundation die Uraufführung von Nicolas Wackerbarths neuem Film CASTING. Die bissige Mediensatire dreht sich um einen geplanten Fernsehfilm, der auf Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ basiert. Weil sich die Regisseurin (Judith Engel) bei der Besetzung der Hauptrolle nicht festlegen kann, werden noch einmal mehrere Darstellerinnen zum Probespielen eingeladen. Gerwin (Andreas Lust) – der die Rolle der Karin übernimmt, die im fertigen Film von einem Mann gespielt werden soll – ist eigentlich nur als Anspielpartner mit dabei, gerät aber schon bald in ein Haifischbecken, in dem jeder ohne Rücksicht auf Verluste seine beruflichen und privaten Interessen durchsetzen will. CASTING wirft einen sarkastischen Blick auf das Fernsehbusiness und spielt mit den sich zunehmend auflösenden Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Je länger das nervenstrapazierende Casting dauert, desto deutlicher spiegeln sich auch die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse aus Fassbinders Vorlage am Set.

Nach einer letzten Gesamtretrospektive im Jahr 1999 zeigt das Londoner British Film Institute (BFI) ab Ende März erneut Fassbinders komplettes Werk. Flankiert wird die Reihe von einigen Einführungen und Vorträgen. Am 29. März werden etwa Hanna Schygulla und Juliane Maria Lorenz zu Gast sein, um DIE EHE DER MARIA BRAUN vorzustellen. Einen Überblick aller Termine bis Ende April gibt es auf der Website des BFI: https://whatson.bfi.org.uk/
Die Termine im Mai werden zeitnah bekannt gegeben.

Eine weitere sehenswerte Reihe gibt es zur Zeit in Wien und Berlin zu sehen. Nachdem die von Olaf Möller kuratierte Retrospektive über das deutsche Nachkriegskino bereits letztes Jahr auf dem Festival in Locarno lief, zeigt sie nun auch in abgewandelter Form das Österreichische Filmmuseum ( https://www.filmmuseum.at/jart/prj3/filmmuseum/main.jart?rel=de&content-id=1216720898687&schienen_id=1485733171401 ), das sich auf den Kriminalfilm konzentriert, sowie das Zeughauskino ( http://www.dhm.de/de/zeughauskino/filmreihen/zu-den-verhaeltnissen.html), das sich der politischen Stimmung der Nachkriegszeit widmet.

Während Fassbinder trotz mancher Vorbehalte ein Bewunderer des Hollywood-Kinos war, äußerte er sich nur selten über das populäre Kino der Bundesrepublik – arbeitete aber im Gegensatz zu anderen Vertretern des Neuen Deutschen Films auch mit berühmten Schauspielern aus dieser Zeit wie Brigitte Mira und Karlheinz Böhm zusammen. Gerade im Umkreis der Unterzeichner des Oberhausener Manifests wurde gerne ignoriert, dass die Filme von Regisseuren wie Helmut Käutner, Kurt Hoffmann oder Wolfgang Staudte nicht nur inszenatorisch weitaus wagemutiger waren als allgemein angenommen, sondern sich auch kritisch mit der Nazi-Vergangenheit beschäftigten. Spurlos vorbei gingen diese Filme auch an Fassbinder nicht. So schreibt etwa Regisseur Dominik Graf in seinem Buch „Schläft ein Lied in allen Dingen“: „Es ist manchmal im deutschen Kino so, als begegneten einem gewisse Zeiten der deutschen Geschichte immer wieder. Immer wieder anders – und nicht unbedingt immer wieder neu. […] Fassbinder ist knapp nach dem Krieg geboren, ist in den Fünfzigern im Kino groß geworden, und so erscheint einem Lili Marleen heute wie ein Revival seines eigenen, erinnernden Blicks auf die deutschen Filme seiner Kindheit. Nachkriegskino revisited.“ (Das Buch kann man auf der Seite des Alexander Verlags erwerben: https://www.alexander-verlag.com/programm/titel/5-Schlaeft_ein_Lied_in_allen_Dingen.html ).

Gerade war „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ noch im New Yorker New Ohio Theatre unter der Regie von Benjamin Viertel zu sehen (nähere Informationen dazu gibt es hier: http://www.thirdspacetheater.org/the-bitter-tears-of-petra-von-kant/ ). Aus diesem Anlass berichtet der Schriftsteller Hilton Als im New Yorker, wie er Fassbinder einst zufällig im Greenwich Village begegnete, was hier man online nachlesen kann: http://www.newyorker.com/magazine/2017/02/27/rainer-werner-fassbinders-sadomasochism?mbid=social_twitter

Am Münchner Residenztheater gibt es die seltene Gelegenheit, eine Bühnenadaption von Fassbinders Film IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN zu sehen. Am 11. März feiert dort die Inszenierung von Aureliusz Smigiel ihre Premiere. Die Hauptrolle der Transsexuellen Elvira Weishaupt wird von Thomas Loibl gespielt, der zuletzt einen Auftritt in Maren Ades Film TONI ERDMANN als Chef der Protagonistin hatte. Karten und weitere Termine gibt es auf der Website des Theaters: https://www.residenztheater.de/inszenierung/einem-jahr-mit-13-monden

„Wie machen wir jetzt Theater angesichts dessen, was hier und jetzt um uns, in uns, passiert?“, fragt sich Falk Richter in seinem Stück „Je suis Fassbinder“, das auf RWFs Episode aus DEUTSCHLAND IM HERBST basiert. Am 23., 24. und 25. März ist noch einmal die deutschsprachige Inszenierung von Barish Karademir in der Nürnberger Tafelhalle zu Gast. Karten sind momentan noch verfügbar und können hier online bezogen werden: https://tickets.rtl.de/various-artists-742911/je-suis-fassbinder-von-falk-richter-681672

Zum Abschluss noch ein Hinweis auf ein neues Buch: In „Der Himmel über Westberlin: Meine Freunde, die Künstler und andere Patienten“ berichtet der ehemalige Zahnarzt Anatol Gotfryd von seinem bewegten Leben während des Zweiten Weltkriegs sowie von seinen zahlreichen prominenten Patienten. Neben Markus Lüpertz, Günter Grass, Heiner Müller und Harald Juhnke war auch Fassbinder in Gotfryds Praxis zu Gast. Erhältlich ist das Buch auf der Seite des Quintus-Verlages: https://buch-findr.de/buecher/der-himmel-ueber-westberlin/

Wir wünschen unseren Lesern und Freunden einen schönen Frühlingsanfang und melden uns im April wieder mit Neuigkeiten rund um Rainer Werner Fassbinder.

Mehr zu den Filmen von Rainer Werner Fassbinder:

Mehr zu den Theaterstücken von Rainer Werner Fassbinder:

Foto links: ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG © Rainer Werner Fassbinder Foundation
Foto rechts: Cover von Anatol Gotfryds „Der Himmel über Westberlin: Meine Freunde, die Künstler und andere Patienten“ © Quintus Verlag

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