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Newsletter Oktober 2017

Mit Harry Baer und Irm Hermann feierten in den letzten Wochen gleich zwei von Fassbinders engsten und längsten Mitarbeitern ein Jubiläum. Baer wurde bereits am 27. September 70 Jahre alt. Seine Zusammenarbeit mit RWF reichte von frühen Antiteater-Tagen bis zum letzten Spielfilm QUERELLE. Egal ob er wie in GÖTTER DER PEST und WILDWECHSEL Hauptrollen übernahm und dabei wie ein bayrischer James Dean wirkte oder in kleinen Parts zu sehen war, er bestach immer mit trockenem Charme, einer melancholischen Lässigkeit und einer sehr eigenen Art zu sprechen, die das Sprechen selbst in einer so hoffnungslosen Welt schon wie einen Kraftakt wirken ließ. In späteren Filmen Fassbinders arbeitete Baer auch in anderen Funktionen mit, etwa als Regieassistent oder Aufnahmeleiter.

Harry Baer spielte aber auch bei Hans-Jürgen Syberberg und Werner Schroeter, drehte mit Luigi Comencini in den berühmten römischen Cinecittà-Studios und war in Michael Stocks Underground-Klassiker PRINZ IN HÖLLELAND mit von der Partie. In einem Interview mit der Berliner Zeitung vor einigen Jahren antwortete er auf die Frage, ob es ihn nicht nerve, ständig auf Fassbinder angesprochen zu werden: „Manchmal schon. Weil man immer wieder die gleichen Fragen hört. […]Andererseits spreche ich aber auch gern über ihn. Schließlich waren die 13 Jahre an seiner Seite die wichtigsten in meinem Leben. (Das gesamte Interview gibt es hier: http://www.berliner-zeitung.de/kultur/film/zum-70–geburtstag-des-filmemachers-so-erinnert-sich-harry-baer-an-rainer-werner-fassbinder-995974 DE)

Auch Irm Hermann gehört zu den Darstellern aus dem Fassbinder-Kosmos, die ihre Faszination gerade daraus schöpfen, dass sie eher starke Persönlichkeiten sind. Es ist eine unverwechselbare Präsenz, die Hermann auszeichnet, eine Künstlichkeit im Spiel, die viel treffender und wahrhaftiger ist als vieles, was im Kino als Authentizität verkauft wird. Bei Fassbinder war sie meist der Inbegriff spießbürgerlicher Biestigkeit – und doch sah man ihren Figuren immer an, dass sich hinter dem monströsen Auftreten auch eine zutiefst verletzte Seele verbarg. Auch Hermann hat neben ihrer Zeit mit RWF ihre Spuren in Film und Theater hinterlassen. Während sie etwa in Loriots PAPPA ANTE PORTAS ihr großes komödiantisches Talent unter Beweis stellte, scheute sie auch nicht die Kollaborationen mit einer jüngeren Generation spannender Regisseure wie etwa René Pollesch und vor allem Christoph Schlingensief. Zuletzt war Irm Hermann vor allem in den Bühnenproduktionen von Christoph Marthaler zu sehen. Zu ihrem 75. Geburtstag am 4. Oktober wünschen wir ihr nachträglich nur das Beste.

Wim Wenders darf man zum diesjährigen Douglas-Sirk-Preis gratulieren, den das Filmfest Hamburg seit 1995 an Persönlichkeiten verleiht, „die sich um Filmkultur und Filmbranche verdient gemacht haben“. Frühere Preisträger waren etwa Wong Kar-Wai, Isabelle Huppert, François Ozon und Fatih Akin. Wenders widmete seine Auszeichnung Fassbinder, der Sirk noch viel mehr geliebt habe als er und der noch viele große Filme hätte machen können, wenn er nicht so früh gestorben wäre. Fassbinder befand sich auch unter den zahlreichen Filmemachern, die Wenders 1982 für seinen Dokumentarfilm CHAMBRE 666 in einem Hotelzimmer in Cannes interviewte über die Zukunft des Kinos interviewte. RWFs nur sehr kurzer Auftritt ist ein Plädoyer für Filme mit starker individueller oder nationaler Handschrift, die sich deutlich von jenem Kino abgrenzen, „das sich vom Fernsehen nicht mehr unterscheidet“.

Vom 26. bis zum 29. Oktober findet in Berlin zum zweiten Mal das Festival Film:ReStored statt, das sich der Digitalisierung des Filmerbes widmet. Neben Vorträgen und Werkstattberichten wird es auch ein Filmprogramm geben, bei dem Restaurierungen von Harun Farockis ETWAS WIRD SICHTBAR, Peter Fleischmanns lange verschollenem DAS UNHEIL, Helmut Käutners AUF WIEDERSEHEN, FRANZISKA! sowie eine neue 4K-Abtastung von RWFs MARTHA gezeigt werden – einem von Fassbinders großen Melodramen, das unter anderem wegen der berühmten 360-Grad-Kamerafahrt von Michael Ballhaus auch Filmgeschichte wurde. Das gesamte Programm erhalten Sie hier: https://www.deutsche-kinemathek.de/veranstaltungen/film-restored_02/programm DE

Die restaurierte Fassung von MARTHA wird außerdem am 7. Dezember als Blu-ray bei Studiocanal erscheinen. (Mehr Informationen gibt es hier: http://www.studiocanal.de/dvd/martha-digital_remastered DE).

Am 2. November kommt Nicolaus Wackerbarths sehenswerter neuer Film CASTING in die deutschen Kinos. In der bitterbösen Fernsehsatire ist ein toller Andreas Lust in der Hauptrolle zu sehen, der als „Anspielpartner“ für ein Remake von Fassbinders DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT Zeuge der ebenso grausamen wie komischen Machtspiele an einem Filmset wird. In jener fragilen Welt, in der sich Fiktion und Wirklichkeit ständig verschieben, dreht sich immer wieder alles darum, wie Menschen in diesem Milieu nach ökonomischen Kriterien bewertet werden. Lust verkörpert die Rolle, die einst Hanna Schygulla spielte und die im Remake mit einem Mann besetzt werden soll. Einen Trailer des Films kann man sich hier ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=lHVh0GV6PEs DE

Soeben erschien unter dem Titel „Geht nicht gibt’s nicht“ die Autobiografie von Regina Ziegler. Darin lässt die erfolgreiche Produzentin Leben und Karriere Revue passieren. So gibt es dort auch einen Einblick in den Drehalltag von KAMIKAZE 1989, den Zieglers Ehemann Wolf Gremm 1982 mit Fassbinder in der Hauptrolle inszenierte. Das Buch kann man hier erwerben: https://www.randomhouse.de/Buch/Geht-nicht-gibts-nicht/Regina-Ziegler/C-Bertelsmann/e510125.rhd DE

Zum Abschluss noch der Hinweis zu einem wichtigen Artikel von Antje Vollmer, die in der Frankfurter Rundschau die deutsche Linke zur Einigung aufruft (den Text kann man hier nachlesen: http://www.fr.de/politik/zukunftsperspektive-eine-linke-alternative-a-1372495?GEPC=s5 DE). Die Politikerin und Autorin Vollmer hat mit Hans-Eckardt Wenzel das Buch „Hinter den Bildern die Welt: Die untergegangene Bundesrepublik in den Filmen von Rainer Werner Fassbinder – Ein Briefwechsel“ geschrieben: (Mehr Informationen unter: http://www.matrosenblau.de/buecher/buch-hinter-den-bildern-die-welt/ DE)

Wir wünschen unseren Freunden und Lesern einen goldenen Herbst und melden uns im November wieder mit Neuigkeiten rund um Rainer Werner Fassbinder.

Mehr zu den Filmen von Rainer Werner Fassbinder:

http://www.fassbinderfoundation.de/filme-von-fassbinder/ DE

Foto links: Irm Hermann Bundesfilmpreis Verleihung (heute LOLA) 1973 © Erika Rabau

Foto rechts: Harry Baer in WILDWECHSEL 1972 © Peter Gauhe

 

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