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Foto: Elfi Mikesch / © RWFF

Interview mit der Präsidentin der Rainer Werner Fassbinder Foundation, Berlin: Juliane Maria Lorenz

Sie war Cutterin bei 14 Fassbinder-Filmen und Fassbinders Lebensgefährtin, außerdem führt sie die Rainer Werner Fassbinder Foundation (RWFF) seit 1992: Juliane Maria Lorenz spricht in einem Interview mit dem Deutschen Filmmuseum über Filmkultur, die Herausforderungen der Digitalisierung und Restaurierung sowie die Arbeitder RWFF in Berlin.

Deutsches Filmmuseum (DFM): Frau Lorenz, Sie arbeiten seit Jahren sehr fruchtbar mit dem New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) zusammen, das sich unter anderem auch an den Kosten der Restaurierung der WDR- Fernsehserie ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG (BRD 1972, R: Rainer Werner Fassbinder) beteiligt. Nun gibt es bei uns inzwischen zwar auch das Förderprogramm Filmerbe Content, das Produzenten deutscher Kino-Filme seit 2013 beantragen können. Bei dem fünfteiligen, fürs Fernsehen produzierten Klassiker, dessen Rechte bei der RWFF liegen, könnten da aber noch Hürden zu überwinden sein. Eigentlich verrückt: Drückt die Förderung in den USA auch aus, dass Rainer Werner Fassbinder im Ausland möglicherweise besser gelitten ist als in Deutschland? Und, wenn ja, wie erklären Sie sich das?

Lorenz: Weil man immer Angst vor der eigenen Potenz hat, um es positiv auszudrücken. In Deutschland wurde Fassbinder von vielen schon allein wegen seiner Schaffenskraft für verrückt gehalten. Ganz anders die Amerikaner: Sie finden ein sogenanntes Genie großartig. Ich sage jetzt nicht, dass er ein Genie war, Rainer hätte das auch nicht von sich gesagt. Aber er war wahnsinnig fleißig und er hatte Charisma und hat die richtigen, sehr begabten jungen Leute um sich versammelt. Und er war wahnsinnig gut organisiert. Das merkt man an seinen Filmen. Das merkt man an seinen Texten. Er war enorm strukturiert.

DFM: Sie waren 19 Jahre alt, als Sie Fassbinder kennenlernten. Wie kam es eigentlich, dass Sie dann die Filmmontage in 14 seiner Filme übernahmen?

Lorenz: Ich bin reingestolpert. Ich wollte Filmemacherin werden, oder Schriftstellerin. Er sagte: Du machst das jetzt. Der hat mich bei DESPAIR – EINE REISE INS LICHT reingeschmissen und ich musste schwimmen. Er war ziemlich tricky, wenn er einem Aufgaben zuwies: Er hat sehr oft ausgetestet, wie weit er gehen kann, wie weit er jemanden belasten kann. Das hat er natürlich nicht mit Hanna Schygulla gemacht, und nicht mit Peter Märthesheimer, aber mit Irm Hermann hat er das aufs Äußerste getrieben. Mit mir hat er’s versucht. Bei LOLA (BRD 1981) sollte ich plötzlich auch noch Produktionsleiterin sein. Da habe ich mich gewehrt.

DFM: Er brauchte also Widerstand?

Lorenz: Jaaaa, aber wie. Jemand wie Irm hatte sicherlich eine tolle Leidensfähigkeit, aber sie hat sich auch gewehrt, sie hat geschrien, geweint, gedroht: „Ich bring‘ mich um!“ Und ist auf den Fenstersims gesprungen. Sie wollte sicher nicht wirklich springen. Er hat nur ruhig gesagt: „Spring raus!“ Später hat er allerdings zu mir gesagt, „Du, wenn sich einer beschweren kann, dann ist es die Irm.“ Wenn sich ihm jemand gerne unterwarf, das ertrug er nicht.

DFM: Ist Ihnen das auch einmal passiert?

Lorenz: So extrem nicht, aber bei LILI MARLEEN (BRD 1980) war ich zunächst total überfordert und brach in Panik aus. Am 2. August 1980 habe ich die letzte Folge von BERLIN ALEXANDERPLATZ gemischt, da rollten aber im nächsten Schneideraum schon die Rollen von LILI MARLEEN an: unglaublich viele gedrehte Muster. Ich war 23, ganz allein, mit einer Assistentin. Da sagte er zu mir: „Der Xaver (Schwarzenberger) hat auch gesagt, das ist vielleicht zu viel für Dich.“ Fassbinder – das war eine wunderbar geölte Maschine, die ständig lief. Ich fand das sonst nicht so schlimm. Aber bei diesem Film brauchte ich eine Pause und bin abgehauen. Als ich nach zehn Tagen zurück kam, konnte ich schneiden – wie in Trance. Da sagte er: „Hast’s ja schon wieder verstanden.“ Wenn ich nicht noch viele andere Lehrmeister, zum Beispiel den wunderbaren Mischtonmeister Milan Bor, gehabt hätte, wäre das damals letztendlich nicht so gut gegangen.

DFM: Mit welchen Vorgaben sind Sie rangegangen an den Schnitt?

Lorenz: Es gab nie eine Vorgabe. Es gab ein Drehbuch. Ich war doch seine Einstellungen gewohnt. Ich wusste doch, wie er schneidet. Er hatte auch eine Haltung zum Beruf des Schnittmeisters. „Der Cutter ist ein selbstständiger Künstler“, hat er immer gesagt. „Aber der Regisseur macht die Angaben, die muss der Cutter nur finden.“ Ich hatte oft Angstzustände: ,Schaff‘ ich das? Kann ich das?’ Auf der anderen Seite bin ich mit einer großen Naivität da rangegangen, und dann ist alles leicht.

DFM: Erfolg war ihm ja keineswegs egal. Wollte er, dass viele Menschen seine Filme sehen?

Lorenz: Darüber hat er sich keine zu komplizierten Gedanken gemacht. Ihn faszinierte einerseits die Perfektion der US-amerikanischen Filme und ihn begeisterte das französische Kino, Regisseure wie Jean-Luc Godard: So wollte er sein. Etwas anderes hatte er gar nicht vor. „Ich will gut sein. Lass‘ uns mal so anfangen.“ Darum ging es. Und dann kam noch sein unglaublicher Gestaltungswille dazu. Diese besondere Art der Verfremdung.

DFM: Weil Sie seinen Gestaltungswillen ansprechen: Aktuelle Künstler beziehen sich auch mehr als 30 Jahre nach seinem Tod auf Fassbinder. Ming Wong zum Beispiel, dessen Werke ja auch in unserer Ausstellung zu sehen sein werden…

Lorenz: Ja natürlich, Künstler sehen sich andere Künstler an. In China ist Fassbinder sehr bekannt. Auch Martin Scorsese hat sich Fassbinder angeguckt, genauso wie Marina Abramović oder Cindy Sherman und Todd Haynes, der wollte von mir wissen, wie Fassbinder gearbeitet hat. Deshalb bin ich davon überzeugt: Fassbinder wird auch in Zukunft noch cool sein. Ming Wong hat sich mit Fassbinder auseinandergesetzt, weil er Deutsch lernen wollte. Und das macht er mit den Filmen ANGST ESSEN SEELE AUF (BRD 1973) und DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT (BRD 1972), weil die in China gelaufen sind. Und an der Stelle muss man mal das Goethe-Institut erwähnen, das Fassbinders Filme immer wieder im Ausland gezeigt hat, schon von Anfang an.

DFM: Interessant ist auch, dass der Performancekünstler Rirkrit Tiravanija den Titel „Angst essen Seele auf“, 1994 zum ersten Mal eingesetzt hat – zwei Jahre nach der großen Werkschau in Berlin. Er war – nach unseren Recherchen – der erste Künstler jenseits des Kinos, der sich direkt auf Fassbinder bezog. 1998, also im Jahr nach der Retrospektive im New Yorker MoMA waren es dann gleich mehrere Videokünstler in einem Jahr.

Lorenz: Ja, natürlich. Das hat damit zu tun. Das amerikanische Goethe- Institut hat es mit ermöglicht, dass die Fassbinder-Retrospektive im Anschluss an die große Gesamtretrospektive im MoMA durch 50 Städte in den USA tourte.

DFM: Was ist das Leitmotiv Ihrer Arbeit in der RWFF?

Lorenz: Festhalten durch Erhalten. Bewusst machen, was Kinokultur ist. Darum geht es mir.

Das Gespräch mit Juliane Maria Lorenz führten für das Deutsche Filmmuseum Anna Fricke, Hans-Peter Reichmann und Frauke Haß

 

Pressemeldungen

FAZ.net, 05.05.2015, „Rainer Werner Fassbinder. Luftdicht in Vitrinen“ von Peter Körte

TAGESSPIEGEL.de, 06.05.2015, „Rainer Werner Fassbinder zum 70. Geburtstag. Gehasst und Geliebt.“ von Christiane Peitz

 

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