Filme von Rainer Werner Fassbinder

Acht Stunden sind kein Tag

Eine Familienserie

Jochen und Marion
Jochens Arbeitsgruppe – sie sind Werkzeugmacher – steht unter Druck. In 17 Wochen sollen die vier Vorrichtungen fertig sein, aber obwohl alle sich Mühe geben, sieht es nicht so aus, als ob sie es schaffen würden. „Ihr seid zu langsam“, sagt Meister Kretzschmer. „Der Auftrag war zu knapp kalkuliert“, sagt die Gruppe. Klar – aber dafür gab es ja auch eine Leistungszulage. In dieser verfahrenen Situation macht Jochen (Gottfried John) einen Verbesserungsvorschlag: durch eine konstruktive Änderung wird der Arbeitsvorgang entscheidend vereinfacht, anstatt der veranschlagten vier Vorrichtungen werden nur noch zwei benötigt. Jochen bekommt eine Prämie, ein großes Fest wird gefeiert – aber mitten ins große Aufatmen kommt die Nachricht, dass die Betriebsleitung Konsequenzen aus der neuen Situation gezogen hat: sie streicht die Leistungszulage. Wenn sie ihren Vorteil nicht einfach verschenken wollen, müssen Jochen und seine Kollegen sich etwas einfallen lassen.
Außerdem lernt Jochen in dieser Folge Marion (Hanna Schygulla) kennen. Außerdem lernt Oma (Luise Ullrich) in dieser Folge Gregor (Werner Finck) kennen. Außerdem…

Oma und Gregor
Oma und Gregor suchen eine Wohnung, aber Wohnungen sind teuer. Wenn sie beide ihre Renten zusammenlegen, kommen sie auf 1085 Mark. Davon wollen wir 20% für Miete ausgeben, sagen Oma und Gregor, denn so ist der Bundesdurchschnitt. Aber für 217 Mark finden sie so schnell keine Wohnung, die ihnen gefällt – was sie jedoch finden, sind zahllose Kinder auf der Straße, die Omas und Gregors Meinung nach in einem Kindergarten viel besser aufgehoben wären. Aber Kindergärten sind offenbar ebenso rar wie Wohnungen. Angesichts einer Filiale der Stadtbücherei, die mangels Nachfrage gerade geräumt wird, hat Oma eine Idee. Gemeinsam mit Gregor, unterstützt von Marion und mit der tatkräftigen Hilfe Jochens und seiner Freunde wird ein Kindergarten eingerichtet, und, wenn auch zögernd, von den Kindern und ihren Müttern akzeptiert. Aber jetzt fängt der Kampf erst an, und gewonnen werden kann er nur durch das listige Vorgehen der Frauen dieses Stadtviertels.
Außerdem kommen Oma und Gregor in dieser Folge auch noch zu einer Wohnung. Außerdem beschließt Monika (Renate Roland), wieder arbeiten zu gehen, weil Sybille (Andrea Schober) ja jetzt im Kindergarten untergebracht ist. Außerdem…

Franz und Ernst
Nachdem Meister Kretzschmer (Victor Curlandt) gestorben war, hatte sein bisheriger Stellvertreter, der Vorarbeiter Franz (Wolfgang Schenck), kommissarisch die Meisterfunktionen in Jochens Gruppe übernommen. Die Gruppe hält es für selbstverständlich, dass Franz irgendwann auch formal als Meister bestätigt wird – nur stehen da eben noch einige Formalitäten aus; Franz, der sich schon seit längerer Zeit im Abendstudium auf die Meisterprüfung vorbereitet, hat noch keinen Meisterbrief, und die Betriebsleitung muss Franz die freie Meisterstelle anbieten. Aber die Betriebsleitung ist anderer Meinung: Sie will sich einen jungen Mann von draußen holen, der zum einen die nötige Qualifikation bereits hat, und der zum anderen der Gruppe fremd ist – und fremde Besen kehren gut, meint die Betriebsleitung. Jochens Gruppe sieht das Problem genau umgekehrt: Warum soll nicht einer unser Meister sein, der auch unsere Zustimmung hat? Und warum sollen wir bei einem Mann, mit dem wir täglich 8 Stunden zu tun haben, nicht auch ein Wörtchen mitzureden haben? Die Meinung der Gruppe ist eine Sache und die der Betriebsleitung eine andere: Franz darf sich den Dank der Firma für seine kommissarische Tätigkeit anhören. Ernst (Peter Gauhe), ein junger Absolvent einer Höheren Technischen Lehranstalt, wird als neuer Meister in sein Amt eingeführt. Die Gruppe setzt sich zur Wehr – gegen Ernst, für Franz. Aber es zeigt sich, dass sie sich verrechnet hat, was Franz – und was Ernst angeht.

Harald und Monika
Werkzeugmacher sind nicht nur Werkzeugmacher, und Arbeiter sind nicht nur Arbeiter. Sie haben außerdem Gefühle (große Gefühle, kleine Gefühle), Neigungen, private Bedürfnisse, psychologische Probleme. In diesem Film geht es hauptsächlich um Probleme, die sich vor 7 Uhr morgens und nach 16 Uhr nachmittags stellen. Monika möchte gerne wieder arbeiten und sich außerdem von Harald (Kurt Raab) scheiden lassen – aber Harald will weder das eine, noch möchte er Monika die Tochter Sylvia überlassen. Jochen und Marion wollen heiraten – aber da gibt es Marions Mutter, die sich für ihre Tochter einen anderen Mann vorgestellt hat als ausgerechnet einen Arbeiter. Oma schließlich ist es leid, sich von ihrem Schwiegersohn Wolf (Wolfried Lier) ständig tyrannisieren zu lassen – sie zieht aus und beginnt mit ihrem Gregor eine sehr wilde Ehe.

Irmgard und Rolf
Jochens Arbeitsgruppe erfährt, dass eine Verlegung ihres Betriebs geplant ist – irgendwo draußen vor der Stadt sollen neue Werkshallen entstehen, und auch die Werkzeugmacherei soll ausgesiedelt werden. Das bringt eine Reihe von Problemen mit sich: Für manche liegt der neue Arbeitsplatz günstiger zu ihrer Wohnung, für die meisten aber bedeutet das längere Anfahrtszeiten – oder Umzug. Aus der Diskussion darüber, ob man von der Firma nicht bestimmte Beihilfen und Unterstützungen für solche Fälle fordern kann, entsteht plötzlich eine viel weitergehende Überlegung: Wenn schon das Haus neu gebaut wird, soll man dann nicht auch darüber nachdenken, was man an den Arbeitsbedingungen selbst verbessern kann? Die ersten Einfälle sind mager: bessere Belüftung, mehr Duschräume – aber allmählich entwickelt die Gruppe eine konkrete Vorstellung darüber, wie sie ihre eigene Arbeit besser organisieren könnte. Besser: das heißt mehr Freiheit, Unabhängigkeit, Autonomie – das heißt aber auch Verantwortung, mehr Einsatz, mehr Risiko. Das lernt die Gruppe freilich erst, als die Betriebsleitung überraschenderweise einem Experiment mit dem Modell zustimmt, das die Arbeiter sich ausgedacht haben. Überhaupt wird hier von einigen einiges gelernt. Beispielsweise lernt Rolf (Rudolf Waldemar Brem), warum man einen gemeinschaftlich erarbeiteten Gewinn auch gemeinschaftlich verteilt; und selbst Irmgard (Irm Hermann) lernt etwas dazu – nicht nur über ihren geliebten Rolf, sondern auch etwas über Arbeiter.

Produktionsjahr
1972/73
Regie
Rainer Werner Fassbinder
Buch
Rainer Werner Fassbinder
Kamera
Dietrich Lohman
Musik
Jean Gepoint
Schnitt
Marie Anne Gerhardt
Ausstattung
Kurt Raab, Manfred Lütz, Gisela Röcken
Besetzung
Gottfried John (Jochen) Hanna Schygulla (Marion) Luise Ullrich (Oma) Werner Finck (Gregor) Anita Bucher (Kathe) Wolfried Lier (Wolf) Christine Oesterlein (Klara) Renate Roland (Monika) Kurt Raab (Harald) Andrea Schober (Sylvia) Thorsten Massinger (Manni) Irm Hermann (Irmgard Erlkönig) Wolfgang Zerlett (Manfred) Wolfgang Schenck (Franz) Herb Andress (Rüdiger) Rudolf Waldemar Brem (Rolf) Hans Hirschmüller (Jürgen) Peter Gauhe (Ernst) Grigorios Karipidis (Giuseppe) Karl Scheydt (Peter) Victor Curland (Meister Kretzschmer) Rainer Hauer (Werkshallenleiter Gross) Margit Carstensen Christiane Jannessen Doris Mattes Gusti Kreissl Lilo Pempeit (Hausfrauen in Teil 2) Katrin Schaake Rudolf Lenz Jörg von Liebenfels (Vermieter in Teil 2) Ulli Lommel (Peter) Ruth Drexel (Franz Frau) Walter Sedlmayr (Witwer) Helga Feddersen (Bibliothekarin) Heinz Meier Karl-Heinz Vosgerau Peter Chatel Valeska Gert Eva Mattes Marquard Bohm Klaus Löwitsch Hannes Gromball Brigitte Mira Peer Raben El Hedi Ben Salem Ursula Strätz
Produktion
Westdeutscher Rundfunk
Format
16 mm, Farbe, 101 min. (Teil 1), 100 min. (Teil 2), 92 min. (Teil 3), 89 min. (Teil 4), 89 min. (Teil 5)