Filme von Rainer Werner Fassbinder

Niklashauser Fart

Am Sonntag laetare, dem 24. März 1476, dem Tag, an dem der Winter ausgetrieben und der Sommer eingeholt wird, tritt im fränkischen Niklashausen der Pauker Hans Böhm (Michael König) auf den Plan – ein Hirte, der schon öfter zu derart festlichen Anlässen Musik und Lieder vorgetragen hat. An diesem Tag verbrennt Hans Böhm seine Pauke vor den versammelten Bauern und spricht zu ihnen von einer Offenbarung, die er gehabt habe. Die Muttergottes, sagt er, sei ihm erschienen und habe ihm aufgetragen, dem Volk zu predigen. Aber die religiöse Ansprache wird bald zu einer politischen, aus christlichen Motiven werden Sozialrevolutionäre Konsequenzen gezogen. Hier und jetzt, nicht erst im himmlischen Jenseits, so predigt Hans Böhm, soll das Reich Christi verwirklicht werden. Konkret fordert Böhm die Abschaffung der Pfründen und der geistlichen Gerichtsbarkeit. Kaiser, Fürsten, Grafen, Ritter und Bürger sollen ihrer Privilegien beraubt und dem gemeinen Mann gleichgestellt werden, jeder soll den gleichen Lohn bekommen, Weide und Wald, Fische und Wild sollen Gemeineigentum werden.

Böhms Predigten hatten zunächst großen Erfolg. Aus Bayern, Schwaben, Hessen, aus Thüringen und Sachsen zogen die Bauern zu Tausenden nach Niklashausen. Bald lagerten über 30.000 Menschen auf den Feldern. Aber im gleichen Maße, wie seine Anhängerschaft wuchs, musste Böhm auch seine eigene Mission verraten. Die Bauern waren getrieben von einer unartikulierten, dumpfen Unzufriedenheit, das politische Programm Böhms jedoch war ihnen unvorstellbar – unter dem Zwang ihrer schlechten Verhältnisse war ihnen auch die Phantasie ausgetrieben worden, sich bessere überhaupt denken zu können. So konnten sie eine Änderung ihrer Lage sich nicht anders als durch ein Wunder vorstellen, Böhm konnten sie nicht als Revolutionär, sondern nur als Messias verstehen. Diese Dialektik auszutragen, den Unaufgeklärten die Aufklärung zu vermitteln, war Böhm nicht imstande. Als Soldaten des Bischofs ihn festnahmen, blieben die Bauern apathisch zurück: sie hofften auf ein Wunder, das Böhm befreien würde. Dass nur die eigene Tat die Zustände ändern könnte, hatte Böhm nicht vermocht, sie zu lehren. Am 15. Juli 1476 wurde Böhm auf dem Richtplatz von Würzburg verbrannt.

Weltvertrieb
R.W.F. Werkschau

Verleih (D)
Basis-Film

Produktionsjahr
1970
Regie
Rainer Werner Fassbinder
Buch
Michael Fengler
Kamera
Dietrich Lohman
Musik
Peer Raben, Amon Düül II
Schnitt
Franz Walsch
Ausstattung
Kurt Raab
Besetzung
Michael König (Hans Böhm) Michael Gordon (Antonio) Rainer Werner Fassbinder (der schwarze Mönch) Hanna Schygulla (Johanna) Walter Sedlmayr (Pfarrer) Margit Carstensen (Margarethe) Franz Maron (ihr Mann) Kurt Raab (Bischof) Günther Rupp (sein Berater) Karl Scheydt (Niklashauser Bürger) Günther Kaufmann (Bauernführer) Siggi Graue (1. Bauer) Michael Fengler (2. Bauer) Ingrid Caven (schreiendes Mädchen) Elga Sorbas (ohnmächtiges Mädchen) Carla Aulaulu (epileptisches Mädchen) Peer Raben (Mann auf dem Feld) Ursula Strätz (Bauernfrau) Peter Berling (Henker) Magdalena Montezuma (Magdalena / Penthesilea) Katrin Schaake Amon Düül II
Produktion
Janus Film und Fernsehen (im Auftrag des WDR)
Format
16 mm, Farbe, 86 min.