Warum läuft Herr R. Amok?
Herr R. (Kurt Raab) hat Frau und Kind, eine mittlere Wohnung in einem kleinen Mietshaus, Gartenanteil, Fernsehen und alle komfortablen Einrichtungen des bürgerlichen Haushalts. Seine Arbeit zu Hause und im Beruf füllt ihn aus, Hobbys bieten Abwechslung, außerdem liebt Herr R. die Ruhe.
Die Maschine der täglichen Verrichtungen funktioniert, im Betrieb – Herr R. ist technischer Zeichner – sind die Kollegen nett, sein Chef (Franz Maron) zufrieden, seine Frau (Lilith Ungerer) holt ihn täglich nach Arbeitsschluss mit dem Wagen ab. Er überprüft die Schularbeiten seines Sohnes, empfängt am Sonntagnachmittag die Schwiegereltern zu Besuch oder einen alten Schulfreund, ein beruflicher Aufstieg ist in Sicht, alle sind glücklich.
Herrn R.s Selbstverwirklichung scheint ohne nennenswerte seelische oder körperliche Beschwerden möglich zu sein. Dann, eines Abends – eine Nachbarin (Irm Hermann) ist zufällig auf einen Sprung herübergekommen – geht er wie automatisch auf Frau, Kinder und Nachbarin los.
Kurt Raab, Lilith Ungerer
Kurt Raab
Kurt Raab, Lilith Ungerer
Lilo Pempeit, Franz Maron, Kurt Raab, Peter Moland
Bibliografie
Texte zu WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? in deutscher Sprache Filmtext ...weiterlesenEin scheinbar unerklärliches Ende
Michael Fenglers und Rainer Werner Fassbinders Film „Warum läuft Herr R. Amok...Süddeutsche Zeitung, 28.12.1971
weiterlesenRainer Werner Fassbinder über seinen Film WARUM LÄUFT HERR R. AMOK?
Aus einem Gespräch mit Corinna Brocher Dann haben wir so ein Exposé geschri...Aus: Robert Fischer (Hg.): Fassbinder über Fassbinder, Frankfurt/Main: Verlag der Autoren 2004
weiterlesenBibliografie
Texte zu WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? in deutscher SpracheFilmtext
- Michael Töteberg (Hg.): Fassbinders Filme 2. Frankfurt/Main: Verlag der Autoren 1990, S. 7-50 (protokolliert vom Herausgeber).Kritiken
- Christa Maerker, Spandauer Volksblatt, 30.6.1970.
- Karena Niehoff, Tagesspiegel, 30.6.1970 (auch in: SZ, 1.7.1970).
- Else Goelz, Stuttgarter Zeitung, 1.7.1970.
- Alf Brustellin, Süddeutsche Zeitung, 9.2.1971.
- o.A., Der Spiegel, 9/1971.
- Ines Knoblich / Jens Meyer / Rudolf Rogler, Jugend Film Fernsehen, Sommer 1971.
- Leo Schönecker, film-dienst, 7.9.1971.
- Karl Korn, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.12.1971.
- Wolfgang Ruf, Süddeutsche Zeitung, 28.12.1971.
- Josef Rölz, Kirche und Fernsehen, 1/1972.Weitere Texte
- Friedrich Luft: Entschädigung kam aus Bayern. In: Die Welt, 2.7.1970 (Berlinale-Bericht).
- Klaus Eder: Die Berlinale platzte. In: Fernsehen und Film, 8/1970.
Ein scheinbar unerklärliches Ende
Michael Fenglers und Rainer Werner Fassbinders Film „Warum läuft Herr R. Amok?“Ein Fall, wie er alle paar Tage in der Zeitung steht; eine sogenannte Familientragödie: Ein Mann erschlägt Frau und Kind, am nächsten Morgen erhängt er sich in der Toilette seines Büros – ein monströses, jedoch fast schon alltägliches Verbrechen. (...) Ein zwar monotones, doch sicheres Leben, ein durchschnittlicher Alltag – und dann ein scheinbar unerklärliches Ende.
Michael Fengler und Rainer Werner Fassbinder ging es in ihrem Film weniger um eine psychologische Motivation dieses Amoklaufs, vielmehr um die präzise Beschreibung einer alltäglichen Situation, einer verbreiteten Lebensform. Indem sich der Film nicht an dokumentarische Methoden hält, sondern Einzelheiten sozialer Wirklichkeit nachstellt und nachspielen lässt, indem er die Schauspieler über typische Alltagssituationen improvisieren lässt und die Ergebnisse in langen Kameraeinstellungen festhält, macht er den banalen Alltag deutlicher und bewusster, verweist vor allem auf die monströsen Züge in ihm. Herr R. wird sichtbar als jemand, der gefangen ist in sprachlichen Allgemeinplätzen, vorfabrizierten Verhaltensweisen und sentimentalen Erinnerungen.
WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? ist Fassbinders vierter Film, er ist 1970 im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks entstanden. Mit Michael Fengler, der hier als Co-Autor und Co-Regisseur beteiligt war, hat Fassbinder schon in den Jahren 1966/67, also vor seiner Zeit am Münchner antiteater, zwei Kurzfilme gedreht. WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? ist neben KATZELMACHER der Film Fassbinders, der die soziale Wirklichkeit am direktesten, das heißt ohne die Umwege über Hollywoods Filmträume, reflektiert. Das macht ihn auch genauer und damit unbequemer als die in Münchner Vorstädte verlegten Gangsterrituale, mit denen Fassbinder vor allem den Filmkennern gefallen konnte. (...)
Wolfgang Ruf
Süddeutsche Zeitung, 28.12.1971
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Aus einem Gespräch mit Corinna BrocherDann haben wir so ein Exposé geschrieben in das wir halt einfach reinschrieben, da ist so ein Mann, der durch verschiedene Situationen geht, die ihn alle eine Spur kränker machen, bis er dann Amok läuft. War an sich wirklich nur so ein Blatt und auch nicht wesentlich, haben das nach Stuttgart geschickt und die haben uns den Auftrag gegeben AMOK zu machen für, ich glaub, 150.000 Mark.
Dann waren die Ideen, die Fengler da aufgebracht hatte, und die mich an sich auch interessierten, nach wie vor, aber wo ich ein bisschen skeptischer war, haben wir dann versucht zu konkretisieren, nämlich so einen Film zu versuchen, den man maximal im Kollektiv macht. Also, was für einen Schauspieler bedeutet, dass man ihm eben keinen Text vorschreibt und keine Reaktionen oder so etwas, sondern dass er nur die Situation einer Szene erfährt oder erklärt bekommt und dann gemeinsam mit seinen Mitspielern halt eine Szene spielt. Und genauso beim Kameramann, der auch nur weiß, was das Ergebnis einer Szene sein soll. Unsere Aufgabe als Regisseure, in dem Fall, weil wir gemeinsam gezeichnet haben, war halt nur, diese Stimmungen klar zu beschreiben.
Ja. Der Film ist dann gedreht worden. Der Kurt Raab und Lilith Ungerer haben das Ehepaar gespielt, der kleine Bruder vom Fengler, der Amadeus Fengler, hat den Sohn von den beiden gespielt, und dann hat noch so jeder von der Gruppe so eine kleine Rolle gehabt im Rahmen dieser Geschichte von dem Mann. Es war bei der Arbeit an sich eine – es war ganz schön, weil die Schauspieler der Sache gegenüber doch so 'ne Ernsthaftigkeit hatten, die schon etwas sehr Intensives hatte, was sehr Tolles. Auch der Kameramann hat diese Freiheit, die er da hatte, hat der schon auch sehr genossen. Und trotzdem finde ich das Ergebnis in ganz hohem Maße widerlich und eigentlich fast eklig, weil es halt wirklich nur das an den Menschen überträgt, was an ihnen eklig ist. Wenn du ein Thema hast, dass du zu zwei Leuten sagst, also, stell dir mal vor, ihr sitzt zusammen und esst Abendbrot, und da sitzt euer Sohn, und es muss jetzt irgendwas passieren, dass ihr euch über die Tischmanieren von dem Kind nicht einigen könnt und dass die Frau aber in dem Streit siegt. Dann kommt halt von den Leuten nur das, was in ihnen selber sowieso drin ist, verstehst du? Es ist ein analytischer Film über die Leute selber, über diese ganzen bourgeoisen Dinge, die die Leute vom antiteater natürlich auch in sich haben. Jeder Mensch. Ich meine, er wirkt nach außen, für einen Zuschauer, sicherlich anders als für mich. Aber für mich war einfach nach dem Film für die, die – In der Beziehung zu Lilith Ungerer zum Beispiel war einfach Schluss, verstehst du? Weil die mir so unappetitlich geworden ist, weil mir ganz klar war, all das, was die im Film macht, das ist die natürlich auch, sonst wär’s ihr ja nicht eingefallen. Verstehst du? Für’s Publikum ist das sicherlich anders. Der Film ist dann später bei der Berlinale gelaufen und war an sich ein großer Erfolg, und viele Leute finden den Film das Beste, was wir je gemacht haben und so. Also ich steh dazu überhaupt nicht. (...)
Es gibt in dem Film auch so ein, zwei Szenen, die ich sehr liebe. Das ist die Begegnung zwischen Kurt und dem Willi, diese beiden Schulkollegen, die sich da treffen und dieses Lied zusammen singen, das find ich an sich 'ne sehr sehr schöne Szene, wo auch nichts Denunziatorisches drin ist. Der Film denunziert auch die Leute sehr, das, finde ich, ist auch nicht richtig an ihm. Oder er zwingt sie dazu, sich selber zu entblößen. Das ist so eine Art bürgerlicher Striptease, wie ich ihn an sich nicht so lustig finde.
April 1973
Aus: Robert Fischer (Hg.): Fassbinder über Fassbinder, Frankfurt/Main: Verlag der Autoren 2004
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