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Newsletter April 2018

50 Jahre ist es mittlerweile her, das erst im Rückblick zum Symbol für gesellschaftlichen Aufbruch gewordene Revolutionsjahr 1968. Für Fassbinder stand das Jahr für eine Phase des Übergangs. Erste Kurzfilme wie DER STADTSTREICHER (1965) und DAS KLEINE CHAOS (1966) waren schon gedreht, aber sein Langfilmdebüt LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD (1969) sollte erst noch folgen. Und nachdem das action-theater, dem sich RWF 1967 angeschlossen hatte, in diesem Jahr in die Brüche ging, entwickelte sich daraus das legendäre antiteater. Neben Klassikern wie Goethes „Iphigenie auf Tauris“ und Sophokles’ „Ajax“ befand sich unter den ersten Inszenierungen auch „Der amerikanische Soldat“, den Fassbinder zwei Jahre später für die Leinwand adaptierte.

Darin stand unter anderem antiteater-Mitbegründer und -Stammschauspieler Kurt Raab vor der Kamera. An ihn erinnert sich der Autor und Journalist Heribert Prantl in seiner aktuellen Kolumne für die Süddeutsche Zeitung. Prantl erzählt von seiner Jugend in der oberpfälzischen Kleinstadt Nittenau, wo die 68er-Unruhen auf den 14-Jährigen wie Bilder aus einer anderen Welt wirkten. Im selben Ort lebte auch Raabs Mutter, die in den Sommerferien Besuch von ihrem Sohn bekam und Prantl eines Tages zu sich nach Hause einlud:

„Dann saßen wir in ihrer kleinen Wohnung, deren bemerkenswertestes Requisit ein Ofenrohr war, das quer durch die Wohnküche lief – und wie wir so da saßen, hätten wir auch gut in den Film über den Amoklauf des Herrn R. gepasst. […] Dieser Mann, von dem ich nichts wusste, außer dass er ein Schauspieler aus München und der Sohn der ‚alten Raabin‘ war, saß also neben mir und ich war verlegen. Weil Raab das merkte, begann er zu erzählen: vom Theater, vom Aufstand der Jungen gegen die Alten, von der Revolution und der Unerträglichkeit der Verhältnisse, von Rosa von Praunheim und Rainer Werner Fassbinder. Ich verstand nicht sehr viel von dem, was er da sagte, schlug ihm daher vor, gemeinsam ins Freibad zu gehen, was wir dann auch taten. Wir gingen am örtlichen Kino vorbei, dem Lichtspieltheater Haider, ich weiß nicht mehr, welcher Film lief, ich weiß nur noch, dass Kurt Raab irgendwas von ‚Scheißdreck‘ bemerkte.“

Den vollständigen Text kann man auf der Website der Süddeutschen Zeitung nachlesen: http://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-wie-der-aufruhr-in-die-provinz-kam-1.3936197

Wie bereits im letzten Newsletter angekündigt, läuft in der Pariser Cinémathèque française noch bis 16. Mai eine vollständige Fassbinder-Retrospektive (mehr Informationen dazu gibt es hier: http://www.cinematheque.fr/cycle/rainer-werner-fassbinder-439.html). Parallel dazu veranstaltet unser langjähriger Kooperationspartner Carlotta Films eine Tour mit 14 zwischen den Jahren 1969 und -81 entstandenen Filmen RWFs, die als neue 4K-Restaurierungen präsentiert werden. Im Sommer und Herbst werden weitere Termine folgen. Außerdem gibt es die Filme seit dem 18. April als zweiteilige Blu-ray-Box zu kaufen. Mehr Informationen über die Retrospektiven, die Blu-rays sowie die französische Veröffentlichung von ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG (1972) findet man auf der Website des Verleihs: http://carlottavod.com. In der Tageszeitung Le Monde erschien außerdem ein Text zu den aktuellen Fassbinder-Events: http://www.lemonde.fr/culture/article/2018/04/18/fassbinder-cineaste-du-fard-et-de-l-artifice_5286798_3246.html.

Ähnlich bedeutend wie Fassbinder in Deutschland ist der philippinische Regisseur Lino Brocka in seiner Heimat. Es gibt viele Überschneidungen zwischen den beiden Filmemachern: die unerschütterliche Produktivität, der Glaube in das sozialkritische Potenzial des Melodrams, der offensiv politische Ansatz und nicht zuletzt das viel zu kurze Leben. Außerhalb der Philippinen ist Brocka leider auch fast 30 Jahre nach seinem Tod kaum bekannt. So gab es im Westen bis vor Kurzem keinen einzigen seiner über 60 Titel umfassenden Filmografie auf DVD. Im Jahr 2013 wurde bei den Filmfestspielen in Cannes schließlich eine von der Film Foundation digital restaurierte Version von MANILA IN THE CLAWS OF LIGHT (1975) vorgestellt – der nicht nur als Brockas Opus magnum gilt, sondern auch als eine der besten philippinischen Produktionen aller Zeiten.

Der Film erzählt die Geschichte des jungen Julio, der aus der Provinz in den Moloch Manila kommt, um seine verschollene Freundin zu finden. Zwischen Schwarzarbeit und Zwangsprostitution gerät er dabei in die Mühlen eines ausbeuterischen Systems, das ihn jederzeit zu zermalmen droht. Vor einem Jahr brachte das British Film Institute eine Doppel-DVD/Blu-ray heraus, auf der sich neben MANILA IN THE CLAWS OF LIGHT mit INSIANG (1976) noch ein weiteres von Brockas Hauptwerken befindet (erwerben kann man die DVD hier: http://shop.bfi.org.uk/dvd-blu-ray/http-shop-bfi-org-uk-dvd-blu-ray-lino-brocka-two-films.html). Am 12. Juni erscheint der Film nun auch bei der amerikanischen Criterion Collection. Mehr Informationen zur Veröffentlichung gibt es hier: https://www.criterion.com/films/29221-manila-in-the-claws-of-light

Wir wünschen unseren Freunden und Lesern einen schönen Frühling und melden uns im Mai wieder mit Neuigkeiten rund um Rainer Werner Fassbinder.

 

Foto links: Kurt Raab und Karl Heinz Vosgerau in WELT AM DRAHT © Rainer Werner Fassbinder Foundation

Foto rechts: Manila in the Claws of Light © Cinema Artists

 

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