news

Newsletter Juli 2022

„Die Brandstifter“ titelt die aktuelle Ausgabe der traditionsreichen französischen Cahiers du Cinéma. Auf dem Cover sind dazu Pier Paolo Pasolini und Fassbinder vereint, denen die Filmzeitschrift einen dreißig Seiten umfassenden Schwerpunkt widmet. Unter anderem berichten dort die Schauspielerinnen Ingrid Caven und Bulle Ogier von Dreharbeiten sowie die Regisseure Wang Bing, Catherine Breillat, Albert Serra und Nadav Lapid davon, wie sie von Fassbinder und Pasolini beeinflusst wurden. Zum Inhaltsverzeichnis geht es hier: https://bit.ly/3PcLNwW

Auch 40 Jahre nach seinem Ableben würden die Filme des unbeugsamen Fassbinder noch „brennen“, heißt es in den Cahiers. Warum das so ist, versuchen Markus Metz und Georg Seeßlen in einem Essay bei Deutschlandfunk Kultur zu ergründen. Ihre Erklärung: „In Fassbinders Welt gab und gibt es kein Happy End.“ Deswegen würden seine Filme mit der Zeit nicht versöhnlicher, sondern im Gegenteil immer rebellischer. Fassbinders Tod am 10. Juni 1982 ist für die Autoren der „Schlusspunkt eines aufregenden Kapitels deutscher Film-, Literatur- und Mediengeschichte“.

Das Paradoxe an Fassbinder ist für Metz und Seeßlen, dass gerade ein Künstler, „der so sehr bestrebt war, eine ‚Familie‘ um sich zu versammeln, der sich so offen und öffentlich nach Zuneigung und Anerkennung sehnte und der in seiner Arbeitswut eine ganz eigene Bilder- und Sprachwelt schuf, im Grunde immer ein Solitär blieb“. Den gesamten Essay kann man hier nachlesen: https://bit.ly/3AToW5w

Zu Fassbinders Todestag hat der Bayerische Rundfunk einen kurzen Clip aus seinem Archiv onlinegestellt. Während darin auch die teils sehr ablehnende Haltung gegenüber dem jungen Regisseur mit dem „Gesicht zum Reinhauen“ anklingt, äußert sich Fassbinder selbst über seine Kindheit und die Vorzüge des Zusammenlebens im Kollektiv. Zu sehen gibt es den Clip auf der Webseite des BR: https://bit.ly/3aJBIsv

Fassbinder schätzte die frühen Filme des zunächst der Neuen Münchner Gruppe zugeordneten Klaus Lemke wie 48 STUNDEN BIS ACAPULCO (1966) und NEGRESCO (1967). Am 7. Juli ist Lemke überraschend im Alter von 81 Jahren verstorben. Bis zuletzt wetterte er leidenschaftlich gegen das deutsche Förderkino und drehte mit kaum Budget fast jährlich einen neuen Film.

In einem Nachruf des Artechock Filmmagazins fasst Regisseur RP Kahl Lemkes Credo sinngemäß so zusammen: Er wollte keine Kunst-, sondern Unterhaltungsfilme drehen, dabei aber auch keine Konfektionsware herstellen, um möglichst vielen Zuschauern zu gefallen. Kahl lobt die großartigen Szenen vieler später Lemke-Filme, „weil die einfach passiert sind und in dieser Laienhaftigkeit, in der sie gedreht haben, eine große Lebendigkeit hatten“. Den gesamten Nachruf gibt es hier: https://bit.ly/3RMTwDU

Lemkes letzten Film CHAMPAGNER FÜR DIE AUGEN – GIFT FÜR DEN REST, in dem der Regisseur auf sein eigenes Werk blickt, steht gerade in der BR-Mediathek: https://bit.ly/3yB2ivG. Außerdem gibt es beim ZDF seinen legendären Hamburg-Film ROCKER (1972): https://bit.ly/3aF75Vd

Am 4. Juli hat der Verleger Karlheinz Braun seinen 90. Geburtstag gefeiert. Unter anderem ist er Mitbegründer des Verlags der Autoren, bei dem Fassbinder zu den ersten Mitgliedern zählte. Später trat er auch als Rechtsanwalt Löwenhund in RWFs BERLIN ALEXANDERPLATZ (1980) auf.

Peter Iden gratuliert Braun in der Frankfurter Rundschau mit einem persönlichen Rückblick. Dem jungen Theaterkritiker Iden gab der Verleger, als er damals überraschend in seiner Wohnung erschien, den Rat: „Sie haben zu wenig Bücher, so wird das nichts werden mit Ihnen.“ Später realisierten die beiden gemeinsam das Theaterfestival „experimenta“. Brauns Insistenz, sich für Autoren einzusetzen, nennt Iden „nahezu grenzenlos und unwiderstehlich“. Hier geht es zum Artikel: https://bit.ly/3PlvTQK

Anlässlich der Neurestaurierung mehrerer seiner Filme hat Wim Wenders mit der britischen Zeitung Guardian gesprochen. Darin erzählt er zum Beispiel vom dokumentarischen Aspekt seiner Arbeiten, von künstlerischen Rückschlägen und dem schmerzhaften Verlust ehemaliger Weggefährten. So erinnert er sich etwa daran, wie er am Münchner Hauptbahnhof in Tränen ausbrach, als er von Fassbinders Tod erfuhr. Noch immer ist er wütend, dass sich sein Freund damals zu Tode gearbeitet hat. Den Text gibt es auf der Guardian-Website: https://bit.ly/3yXfqg8

Das Locarno Film Festival, das dieses Jahr vom 3. bis zum 13. August stattfindet, widmet seine Retrospektive Douglas Sirk. Der als Detlef Sierck in Hamburg geborene Regisseur flüchtete während der Nazizeit über die Niederlande in die USA, wo er bald seine lange und produktive Hollywood-Karriere startete. Fassbinder, ein Bewunderer von Sirks Melodramen, ist im Begleitprogramm der Reihe mit ANGST ESSEN SEELE AUF (1974) – einer Neuinterpretation von ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955) – vertreten. Hier geht es zum vollständigen Programm: https://bit.ly/3yHcAuj

Zum Abschluss noch ein Mediatheken-Tipp: Fassbinders LILI MARLEEN (1981) steht bis zum 14. September auf der Arte-Website. https://bit.ly/3RAF6GI

Wir verabschieden uns damit in die Sommerpause, wünschen unseren Lesern und Freunden eine schöne Zeit und melden uns im Herbst wieder mit Neuigkeiten rund um Rainer Werner Fassbinder.

Mehr zu den Filmen von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/filme-von-fassbinder/

Mehr zu den Theaterstücken von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/theaterstucke/

Foto links: Bild aus CHAMPAGNER FÜR DIE AUGEN – GIFT FÜR DEN REST (Cleo Kretschmer und Klaus Lemke, 1978 in Schwabing) © Roger Fritz / Schirmer/Mosel / Klaus Lemke Filmproduktion
Foto rechts: Cover der Sommerausgabe der Cahiers du Cinéma

zurück