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Newsletter Oktober 2021

Mit Gästen wie Hanna Schygulla, Harry Baer und RWFF-Präsidentin Juliane Maria Lorenz eröffnete am 9. September die Ausstellung „Methode Rainer Werner Fassbinder. Eine Retrospektive“ in der Bundeskunsthalle Bonn. „Riesig“ fand die WDR-3-Sendung Resonanzen die Ausmaße der Schau. 800 Objekte und Drehbücher sind dort zu sehen, ein 100 Meter langer Zeitstrahl mit Ereignissen aus der BRD sowie zahlreiche Vitrinen, die alle 125 Projekte Fassbinders dokumentieren. Abgezeichnet habe sich das Bild „eines akribischen Arbeiters, der sich auf sein Team verlassen konnte“. (Den gesamten Beitrag kann man sich hier anhören: https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-resonanzen/audio-fassbinder-retrospektive-ausstellung-in-bonn-100.html

Auch Reinhard Kleber vom Filmdienst hat sich die multimediale Ausstellung angesehen. Die Schlüsselthemen in Fassbinders Werk lassen sich für ihn dort leicht erkennen: „die Stellung der Frau, Homosexualität, Generationenkonflikte, Aufarbeitung der NS-Diktatur, Terrorismus, Spießertum, Nonkonformität, vor allem aber von Gewaltformen geprägte Liebesbeziehungen.“ Anschaulich werde herausgearbeitet, dass RWFs „Arbeitspensum nur mit einer klaren Strukturierung des Produktionsprozesses zu schaffen war. […] Wie präzise der Produzent Fassbinder seine Projekte teilweise sogar parallel vorbereitete und durchrechnete, zeigen mehrere Kostenaufstellungen.“ Den gesamten Text über die noch bis zum 6. März laufende Ausstellung gibt es hier: https://www.filmdienst.de/artikel/50515/fassbinder-ausstellung-bonn

Vom 7. bis 17. Oktober war das seit zehn Jahren ungenutzte und seit 2019 unter Denkmalschutz stehende Internationale Congress Centrum Berlin (ICC) wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Anlass war das Festival „The Sun Machine Is Coming Down“, bei dem die Besucher nicht nur die futuristische Architektur von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte erforschen, sondern auch zahlreiche künstlerische Arbeiten sehen konnten.

Präsentiert wurde dort auch BREMER FREIHEIT (1972), Fassbinders stilisierte Fernsehadaption seines gleichnamigen Bühnenstücks, die unter anderem wegen des frühen Einsatzes einer Blue Box bemerkenswert ist. In dem auf wahren Begebenheiten basierenden bürgerlichen Trauerspiel verkörpert Margit Carstensen die nach Freiheit und Unabhängigkeit strebende Giftmörderin Geesche Gottfried, die sich an ihrem tyrannischen Umfeld rächt.

Während Fassbinder auch andere seiner Stücke selbst verfilmte, entstanden umgekehrt in jüngerer Zeit vermehrt Bühnenbearbeitungen von RWF-Filmen wie WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? (1970) und DIE EHE DER MARIA BRAUN (1979). Die neueste Adaption feierte am 29. September im Théâtre Gérard Philipe in Saint-Denis Premiere. Regisseurin Julie Deliquet präsentierte dort ihre dreistündige Theateradaption von Fassbinders Arbeiterserie ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG (1972–73). Mehr Informationen gibt es auf der Website des Theaters: https://tgp.theatregerardphilipe.com/spectacle/huit-heures-ne-font-pas-un-jour/

Von 1997 bis 2005 wurde beim Europäischen Filmpreis in Kooperation mit der RWFF eine Auszeichnung für den besten Nachwuchsfilm verliehen. Im ersten Jahr bekam der französische Regisseur Bruno Dumont den Fassbinder-Preis für sein Debüt LA VIE DE JÉSUS. Seitdem hat sich Dumont als eine der interessantesten Stimmen im europäischen Autorenkino bewährt. Während seine Filme zunächst die raue Darstellung der Provinz, der Einsatz von markanten Laienschauspielern sowie drastische Sex- und Gewaltdarstellungen auszeichneten, experimentierte er später mit groteskem Slapstick und den Konventionen des Musicals. Seine Mediensatire FRANCE feierte im Juni beim Festival von Cannes Premiere.

Die Arte-Mediathek widmet Dumont gerade einen Schwerpunkt. Fünf seiner Spielfilme – darunter auch LA VIE DE JÉSUS – sowie die beiden Miniserien P’TIT QUINQUIN (2016) und COINCOIN ET LES Z’INHUMAINS (2018) sind für deutsch- und französischsprachige Zuschauer noch bis Ende Februar 2022 verfügbar:
https://www.arte.tv/de/videos/RC-021397/die-filme-von-bruno-dumont/ DE
https://www.arte.tv/fr/videos/RC-021397/le-cinema-de-bruno-dumont/ FR

Anlässlich des 40. Jubiläums der Alten Oper erschien in der Frankfurter Rundschau ein Interview mit dem ehemaligen Baudezernenten Hans-Erhard Haverkampf. Darin geht es auch ausführlich um Fassbinders umstrittenes Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“, das dort ursprünglich 1984 im Rahmen der „Frankfurter Feste“ hätte uraufgeführt werden sollen. Von dem teilweise als antisemitisch kritisiertem Stück versprach sich der damalige Generaldirektor Ulrich Schwab laut Haverkampf einen Skandal: „Er liebte solche gewagten Spiele […]. Er wollte in der Alten Oper ein Theater, das öffentlich bewegt, auch und gerade durch Tabubrüche.“

Als Haverkampf nach der Absetzung Schwabs selbst Interimsdirektor wurde, sollte „Der Müll, die Stadt und der Tod“ ein Jahr darauf von Volker Spengler im Rohbau der U-Bahn-Station vor der Alten Oper inszeniert werden. Die Premiere scheiterte jedoch am mangelnden Interesse der Beteiligten. Zur deutschen Erstaufführung kam es erst im Jahr 2009.
(Das gesamte Interview gibt es hier: https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/die-alte-oper-frankfurt-wurde-vor-40-jahren-eroeffnet-dieses-neue-frankfurter-lebensgefuehl-90932825.html)

Am 5. August ist der Filmproduzent Hanns Eckelkamp verstorben. Neben Filmen von Will Tremper, Klaus Lemke, Werner Schroeter und Roland Klick arbeitete er auch mehrmals mit Fassbinder zusammen. In seinem epischen Nachruf für die „Welt“ zeichnet Rolf Giesen Eckelkamps bewegten Werdegang vom Kinobetreiber in der Nachkriegszeit bis zum Gründer des Verleihs Atlas Film + Medien GmbH und mal mehr, mal weniger erfolgreichen Koproduzenten nach. Ein Leitmotiv seiner Arbeit war es, Filme richtig zu verkaufen: „Er wollte […] Prestige: anspruchsvolle Filme für große Kinos wie den Zoo-Palast in Berlin, keine Untertitel, sondern synchronisiert, mit noch anspruchsvollerer Werbung und Plakatkunst.“ Der Nachruf ist online verfügbar: https://www.welt.de/kultur/kino/article233033405/Die-Filmproduzentenlegende-Hanns-Eckelkamp-ist-tot.html

Von RWF nahm er zunächst die Franz-Xaver-Kroetz-Adaption WILDWECHSEL (1972) in den Verleih, „entdeckte seine Sympathie für den unbequemen Filmemacher“ und befand: „Der Fassbinder soll mal mehr Geld für seine Filme bekommen.“ Später beteiligte er sich an der Produktion von SATANSBRATEN (1976), DIE EHE DER MARIA BRAUN (1979) und LOLA (1981). Eckelkamp verstarb im Alter von 94 Jahren.

Wir wünschen unseren Lesern und Freunden einen goldenen Herbst und melden uns bald wieder mit Neuigkeiten rund um Rainer Werner Fassbinder.

Mehr zu den Filmen von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/filme-von-fassbinder/

Mehr zu den Theaterstücken von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/theaterstucke/

Foto links: Fassbinders Drehbuch zu LILI MARLEEN DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt am Main / Fassbinder-Handschriften-Archiv © Juliane Maria Lorenz-Wehling / Rainer Werner Fassbinder Foundation
Foto rechts: Ulli Lommel in BREMER FREIHEIT: FRAU GEESCHE GOTTFRIED – EIN BÜRGERLICHES TRAUERSPIEL (1972) © SR | Fassbinder Foundation | Verlag der Autoren GmbH

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