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Newsletter Oktober 2022

Seit Ende September läuft François Ozons neuer Film PETER VON KANT in den deutschen, österreichischen und Schweizer Kinos. Die freie Adaption von Fassbinders 1972 auch von ihm selbst verfilmtem Theaterstück „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ eröffnete in diesem Jahr die Berlinale. Aus der Modeschöpferin wird darin der von Denis Ménochet verkörperte Filmemacher Peter, der nicht nur äußerlich stark an Fassbinder erinnert. Ozon inszeniert die Geschichte um den obsessiven Regisseur, der den jungen Schauspieler Amir (Khalil Gharbia) nicht lieben, sondern besitzen will, mit liebevoll detailliertem Vintage-Dekor und doppelbödigen Referenzen.

In ihrer Berlinale-Kritik für RBB Kultur beschreibt Anke Sterneborg den Film als „vielschichtiges und raffiniertes Spiel mit der Filmgeschichte“. Ozon geht für sie „auf zugleich sehr spielerische und raffinierte Weise an den Stoff“ und verleiht ihm „aktuelle Akzente“. Im Gegensatz zu Fassbinders betont artifiziellem Film sei PETER VON KANT „natürlicher und unmittelbarer gespielt“. Zum vollständigen Text geht es hier: https://www.rbb-online.de/rbbkultur/themen/film/rezensionen/2022/02/peter-von-kant.html

François Ozon selbst gibt sich im Interview mit der Berliner Zeitung bescheiden. Auf die Frage nach dem Grund für die Neuverfilmung entgegnet er: „Ich glaube nicht, dass ich ein Remake gemacht habe. Das Original ist ein Meisterwerk und steht für sich. […] Was mich hingegen interessiert: eine andere Vision dieser Geschichte anzubieten.“ Ozon vergleicht sich dabei mit einem „Theaterregisseur, der sich einen Klassiker vornimmt“, um einen „frischen Blick“ darauf zu finden. Das gesamte Interview gibt es hier: https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/kino-streaming/fassbinder-hat-die-heuchelei-der-deutschen-gehasst-francois-ozon-im-interview-ueber-seinen-neuen-film-peter-von-kant-li.268913

Hanna Schygulla, die einst Petras junge Geliebte Karin spielte und in PETER VON KANT einen Auftritt als Mutter des Protagonisten hat, lässt im Gespräch mit dem österreichischen Magazin Profil den nur zweiwöchigen Dreh mit RWF Revue passieren: „Das waren die schnellsten Dreharbeiten, die ich mit Fassbinder je erlebt habe. […] Die anderen Leute vom Neuen Deutschen Film konnten gar nicht so schnell schauen, wie er schon wieder das nächste Werk vorlegte. Insofern war er eine Art Schrittmacher der Bewegung.“

Für Fassbinder war es laut Schygulla wichtig, auch mit Darstellern ohne oder mit nur wenig Erfahrung zu arbeiten: „Er versuchte gar nicht, uns zur gängigen Schauspielkunst zu bringen. Er hat auch das Aroma geschätzt, das ihm das halblaienhafte Spiel brachte […].“ Ozons Adaption hat für die Schauspielerin im Vergleich zu Fassbinders Film „an Künstlichkeit verloren und an Deutlichkeit gewonnen“. PETER VON KANT sei „viel leichtere Kost“. Das gesamte Interview gibt es hier. https://www.profil.at/kultur/hanna-schygulla-das-war-auch-eine-form-der-besessenheit/402156753

Am 4. Oktober ist der Schauspieler Günter Lamprecht im Alter von 92 Jahren verstorben. Im Laufe seines langen Lebens übernahm er mehr als 150 Film- und Fernsehrollen. Er spielte unter anderem in Wolfgang Petersens DAS BOOT (1981), war in den 1990er Jahren als TATORT-Kommissar Frank Markowitz im Einsatz und übernahm nach mehreren kleineren Parts bei Fassbinder seine wohl berühmteste Rolle: den Franz Biberkopf in BERLIN ALEXANDERPLATZ (1980).

Oliver Kranz bezeichnet Lamprecht in seinem Nachruf beim NDR als „Raubein mit der zarten Seele“, das in seinem Spiel „direkt, geradlinig, kraftvoll“ war. Das Geheimnis seiner authentischen Darstellungen verdankte der Schauspieler nach eigener Aussage seinem Fundus an Erlebtem: „Das ist gespeichert und das ist eben toll, wenn man darüber verfügen und es abrufen kann.“ Hier kann man den gesamten Artikel nachlesen: https://www.ndr.de/kultur/film/Guenter-Lamprecht-ist-tot-Ein-hoellisch-ehrlicher-Schauspieler,guenterlamprecht104.html

Am 13. September verstarb Jean-Luc Godard, der als Kritiker der Filmzeitschrift Cahiers du cinéma, als zentraler Protagonist der Nouvelle Vague und als politischer Aktivist vielen als Neuerer und Revolutionär des Kinos galt. Auch Fassbinder bewunderte Godard, besonders VIVRE SA VIE (DIE GESCHICHTE DER NANA S., 1962), den er siebenundzwanzig Mal gesehen hat und der ihm, nach eigenem Bekunden, „viel Kraft gegeben hat“. Spuren hinterließ der Film auch in RWFs eigener Arbeit. Seinem Melodram ANGST ESSEN SEELE AUF (1974) stellte er das aus VIVRE SA VIE stammende Zitat „Das Glück ist nicht immer lustig“ voran.

Der auch heute noch ungebrochen produktive Werner Herzog feierte am 5. September seinen 80. Geburtstag. Robert Wagner bezeichnet seine Filme bei critic.de als „ein Mahnmal und eine Hymne darauf, ein Individuum zu sein, das in eine seltsame, seltsame Welt geworfen wurde“. Ob in Dokumentar- oder Spielfilmen, oft erzählt Herzog „von Abenteuern in unbekannte Regionen“, er selbst sei ein „Abenteurer, unter dessen Oberfläche es brodelt“. (Hier geht es zum gesamten Text: https://www.critic.de/special/die-aeonen-zwischen-uns-werner-herzog-zum-80-4565/

Er und Fassbinder mochten sich laut Herzog „in ganz vorsichtiger Weise gerne“. Als er bereits eine Filmproduktionsfirma hatte, besuchte ihn RWF, um ihm seine ersten Kurzfilme zu zeigen. Später meinte Herzog einmal zu ihm: „Gut, dass Du da so wütest wie eine Wildsau. Das brauchen wir.“ Mehr Erinnerungen des Regisseurs gibt es beim Merkur: https://www.merkur.de/politik/rainer-dampfmaschine-291486.html

Die Deutsche Kinemathek in Berlin zeigt noch bis 27. März nächsten Jahres eine große Herzog-Ausstellung (mehr dazu hier: https://www.deutsche-kinemathek.de/de/besuch/ausstellungen/werner-herzog).

Am 19. und 20. Oktober ist der Regisseur außerdem im Berliner Kino Arsenal zu Gast (mehr dazu hier: https://www.arsenal-berlin.de/kino/filmreihe/werner-herzog-zu-gast/). Und Werner Herzogs neuesten Film DIE INNERE GLUT über das französische Vulkanologen-Ehepaar Katia und Maurice Krafft kann man gerade in der Arte-Mediathek streamen: https://www.arte.tv/de/videos/092967-000-A/die-innere-glut/

Zum Schluss noch ein Veranstaltungstipp: Am 17. und 18. November läuft im Theaterkeller des Droste-Hülshoff-Gymnasiums in Berlin Zehlendorf eine Bühnenadaption von Fassbinders CHINESISCHES ROULETTE (1976). Die mit Schülern entwickelte Aufführung entstand im Rahmen des von der Fassbinder Foundation mitgeförderten Filmbildungsprojekt „Encounter RWF“. Für eine Schutzgebühr von 2 Euro kann man bis 10. November hier Karten reservieren: g@nguly.de

Wir wünschen unseren Lesern und Freunden damit einen goldenen Herbst und melden uns bald wieder mit Neuigkeiten rund um Rainer Werner Fassbinder.

Mehr zu den Filmen von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/filme-von-fassbinder/

Mehr zu den Theaterstücken von Rainer Werner Fassbinder:
http://www.fassbinderfoundation.de/theaterstucke/

Foto links: Barbara Sukowa und Günter Lamprecht in BERLIN ALEXANDERPLATZ © Bavaria Media / Rainer Werner Fassbinder Foundation
Foto rechts: Denis Ménochet und Khalil Gharbia in PETER VON KANT  © Diaphana Distribution

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