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Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis der Digitalisierung / Von Juliane Lorenz

Erschienen am 22.08.2017 in der F.A.Z. im Feuilleton:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/kulturerbe-kino-und-die-probleme-der-digitalisierung-15161619.html

„Filme sollten rentenversichert sein“

Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis der Digitalisierung / Von Juliane Lorenz

Mit den ersten Digitalisierungen von Filmen Rainer Werner Fassbinders begannen wir Anfang der zweitausender Jahre. Und zwar auf den damals üblichen Datenformaten SD (Standard Digital) oder HD (High Definition), die wir als Grundlagen für die Herstellung der ersten DVDs benötigten. Diese Maßnahmen, so jedenfalls hieß es, seien auch für die Langzeitarchivierung der Filme von Nutzen.

Ab 2006 war diese Information bereits Schnee von gestern. Nun hießen die neuen Datenformate 2k und kurz darauf 4k, was bedeutete: Wir mussten unsere Filme erneut digitalisieren und noch aufwendiger restaurieren, um die neuen Formate der digitalen Kinovorführungen, genannt Digital Cinema Package (DCP) und als „Neue Verwertungsarten“ bezeichnet, bedienen zu können. Wir fingen also wieder von vorne an.

Was ist der Unterschied zwischen „Digitalisierung“ und „Restaurierung“? Die Digitalisierung analogen Filmmaterials ist nur ein erster Arbeitsabschnitt. Im Idealfall ist das vorhandene analoge Filmmaterial das originale Kameranegativ, das vom Kopierwerk oder Digitallabor eingehend überprüft und mit einem Befund ausgestattet wird. Verletzungen werden sorgfältig behoben, bevor das vorhandene Grundmaterial gescannt oder „digitalisiert“ wird. Mit dem nun entstandenen Rohscan, an dem bislang noch keine digitale Bearbeitung stattgefunden hat, beginnt die Restaurierung.

Komplette Zerstörung

Bei „Acht Stunden sind kein Tag“ (1972/2017), dessen zugrunde liegendes Filmmaterial ein 16mm Umkehr-Positiv Farbe ist und auf Kodak Ectachrome gedreht wurde, war der Befund beruhigend. Bis auf die letzte Aussage: „Es lässt sich bereits eine erste Stufe des Essigsäure Syndroms feststellen, was in zehn bis fünfzehn Jahren unweigerlich zur kompletten Zerstörung des Trägermaterials führen wird.“ Spätestens jetzt muss alles in Bewegung gesetzt werden, diesen Film vor dem Verschwinden zu bewahren. In unserem Fall hatten wir Glück. Wir hatten bereits Mitte der neunziger Jahre vom Umkehr-Positiv ein 35mm Dupnegativ hergestellt und davon wiederum 35mm Filmkopien. Dies ist bis heute die sicherste Langzeitsicherung.

Was kostet das alles, und wer bezahlt? Bei der öffentlichen Unterstützung von Filmerbe-Projekten gibt es eine Trennung zwischen der Förderung von Archiven und den Rechtebesitzern, etwa Stiftungen oder Produzenten. Die Rainer Werner Fassbinder Foundation gehört zur zweiten Gruppe. Das heißt konkret: Wir mussten für die Finanzierung unserer ersten SD-Bearbeitungen selbst aufkommen. Für die darauf folgenden Restaurierungen von Fassbinders Fernsehproduktionen, darunter „Berlin Alexanderplatz“ (1979/1980/2007) oder „Welt am Draht“ (1973/2010) sowie die jüngste Restaurierung von „Acht Stunden sind kein Tag“, reichten unsere Eigenmittel allerdings nicht aus. Bei „Berlin Alexanderplatz“, dessen Kosten mit einem Gesamtbudget von 1,375 Millionen Euro für ein Fünfzehneinhalb-Stunden-Filmerlebnis besonders hoch waren, fanden wir die ersten Unterstützer: das New Yorker Museum of Modern Art, die Bundeskulturstiftung und die Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen, obwohl damals digitale Restaurierungen von Filmerbe-Werken Neuland waren. In diesem Fall gelang es sogar, innerhalb von zehn Jahren unsere Restaurierungskosten und darüber hinaus auch alle weiteren Darlehen an die Förderer zurückzuführen.

Inzwischen können Rechteinhaber im Rahmen des Digitalisierungsprogramms der Filmförderungsanstalt (FFA) einen nicht rückzahlbaren Zuschuss erhalten, der 20 Prozent der Gesamtkosten bis zu einem Höchstbetrag von 15 000 Euro abdeckt. Die rein technische Restaurierung eines Spielfilmes mit einer Länge von bis zu zwei Stunden Laufzeit kostet zwischen 45 000 und 50 000 Euro. Längere Filme entsprechend mehr. Erheblich höhere Kosten fallen bei jüngeren Werken der Filmgeschichte an, deren Urheberrechte noch bestehen und die mit Fernsehmitteln produziert wurden. Das bedeutet, Urheberrechte für alle heutigen „Neuen Verbreitungsformate“ müssen mit jenen Personen oder ihren Rechtsnachfolgern neu verhandelt werden, die die künstlerischen Bereiche eines Filmwerks gestalten: Stoff, Drehbuch, Regie, Kamera, Ton, Schnitt, Kostüme, Maske, Ausstattung und Musik. Auch Leistungsschutzrechte von Schauspielern sind abzulösen.

Außer Frage steht der filmkulturhistorische Wert des Filmerbes. Außer Acht gelassen werden darf aber nicht der zusätzliche Kosten- und Zeitfaktor, der vor der Restaurierung und Auswertung eines jüngeren Filmerbes auf die verantwortlichen Rechteinhaber zukommt. Hier brauchen die Produzenten und Verwerter zusätzliche Anreize und aktivere Unterstützungen. Das heißt unter anderem auch, dass das Thema Filmerbe in der Öffentlichkeit präsenter werden muss: in der Werbung, in den Print- und allen anderen Medien.

Das analoge deutsche Filmerbe ist immens. Um es in seiner ganzen Breite, seinen Höhen und Tiefen, seinen ideologisch und politischen Einschnitten zu erhalten, müssen wir über weitere Finanzierungsmodelle nachdenken – Modelle, die weit ins nächste Jahrhundert reichen. Kurzfristig erwogene Zahlen bieten sich nur als Richtschnur an, und selbst der zunächst errechnete Betrag von 450 Millionen Euro für zehn Jahre Arbeit am Filmerbe innerhalb der Archive wird nicht ausreichen. Der von der Bundesregierung und dem zuständigen Ministerium für Kultur und Medien (BKM) ab 2018 in Aussicht gestellte Betrag von 100 Millionen Euro in zehn Jahren ist vollends unzureichend. Wobei es auch den Produzenten nicht sehr viel besser geht als den Archiven. Bei dem bislang angebotenen Drei-Säulen-Modell stehen zwar die ersten zwei Säulen – BKM und FFA -, die dritte Finanzierungssäule aber, bestehend aus den sechzehn Bundesländern, wackelt mit bislang nur fünf Absichtserklärungen erheblich.

Magere Millionen

Könnte man nicht mit den wichtigen Trägern der deutschen Wirtschaft und interessierten Sponsoren eine vierte Säule aufstellen? Welchen Beitrag könnten darüber hinaus die öffentlich-rechtlichen und die privaten Fernsehsender leisten? Die Antwort ist einfach: Die Fernsehsender sollten wieder Lizenzen von restaurierten Filmen kaufen, um diesen Filmen unter dem Motto etwa von „Filmerbe am Donnerstag“ ein entsprechendes Forum zu geben. Lizenzeinkünfte helfen den Produzenten dabei, ihre Filme zu restaurieren.

Und was kann die Filmwirtschaft selbst beitragen? Es gibt bereits Abgabepflichten für den aktuellen Film. Vermutlich würden nur 5 Cent mehr genügen, um den Fördertopf für das Filmerbe zusätzlich zu füllen. Wir könnten außerdem einen Restaurierungspfennig einführen, der bei jedem bewilligten Filmförderantrag für den Erhalt des Filmerbes abzuführen ist – eine Art von Rentenversicherung, damit das bestehende und kommende Filmerbe vorausschauend versichert wird und bei Bedarf diese „Filmrente“ von den Archiven und Produzenten abgerufen werden kann.

Es kommt also auf einen viel weiter in die Zukunft reichenden Blick an, der nicht nur die Finanzierung des aktuellen Filmes im Auge hat, sondern in angemessener Höhe auch das Deutsche Filmerbe. Der Kulturetat des BKM, der für das kommende Haushaltsjahr einen Gesamtbetrag von 1.67 Milliarden Euro vorsieht, bevorzugt die Unterstützung des Deutschen Filmförderfonds, dem in Zukunft insgesamt 125 Millionen zu Verfügung stehen. Ist im Vergleich dazu ein Betrag von 10 Millionen Euro im Rahmen des Drei-Säulen-Modells pro Jahr nicht doch ein wenig mager? Vor allem, da aller Voraussicht nach nur um die 8 Millionen zusammenkommen werden, wenn nicht weitere Bundesländer ihre Zusage erteilen.

Juliane Lorenz ist Präsidentin der Rainer Werner Fassbinder Foundation.

In der Serie der F.A.Z. über den Erhalt des Filmerbes schrieben bisher die Filmhistoriker Dieter Alt (8. Dezember 2016) und Klaus Kreimeier (9. Januar), sowie Alexander Horwath vom Filmmuseum Wien (27. März) und Rainer Rother von der Deutschen Kinemathek (11. Juli).

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