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Newsletter Juli 2017

Von der Presse fast unbemerkt ist am 19. Mai der Choreograf, Regisseur und Theaterleiter Dieter Gackstetter im Alter von 77 Jahren verstorben. Gackstetter war neben seiner langjährigen Bühnenkarriere auch als Choreograf bei diversen Filmen tätig. Mitgearbeitet hat er unter anderem an dem populären Tanzfilm ANNA, an John Frankenheimers Spionagethriller THE HOLCROFT COVENANT sowie an den Fassbinder-Filmen LOLA, LILI MARLEEN und QUERELLE. Mit RWF verband ihn darüber hinaus auch eine Freundschaft und Seelenverwandtschaft. Einen Nachruf zu Gackstetter, der auch einen Überblick über seine künstlerische Laufbahn beinhaltet, kann man hier nachlesen: http://www.tanznetz.de/blog/28178/zum-tod-von-dieter-gackstetter

Der Belgier Michael Laub, ebenfalls Regisseur und Choreograf, hat gerade seine von der Fassbinder Foundation mitgeförderte Bühnenproduktion „Fassbinder, Faust and the Animists“ in Berlin und Wien vorgestellt. Die meisten Kritiker waren davon sehr angetan. So schrieb etwa der österreichische Standard: „Laub hat Fassbinders Film WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE aus dem Jahr 1971 filetiert, lässt einige der wichtigsten Passagen live nachspielen, schneidet Mephisto und Gretchen aus dem Fleisch des Goethe’schen Faust dazwischen und fügt rhythmisch Tanzpassagen in diese Dekonstruktion ein. Was dabei herauskommt, ist eine bis ins letzte Detail gelungene Arbeit, deren Brisanz sich erst auf den zweiten Blick erschließt.“

Die Berliner Zeitung schrieb: „WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE, so hat es Fassbinder selbst einmal gesagt, ‚handelt davon, aufzuwachen und einzusehen, dass man von etwas geträumt hat, was es gar nicht gibt.‘ Eben dieses Spiel, davon erzählt Laub lakonisch und mit vielen eingezogenen Böden, läuft immer weiter und weiter.“ Der Tagesspiegel hebt auch die drei Tänzer aus Kambodscha hervor, die in der Inszenierung auftauchen. „Das Thema Ausbeutung und Abhängigkeit, das […] am Beispiel einer Filmclique verhandelt wird, bekommt durch ihre Präsenz – und den Cultural Clash – noch mal eine andere Bedeutung.“

Anfang Juli gab es auch eine andere Theateraufführung zu bestaunen – diesmal nicht von Profis, sondern von den Schülern des Berliner Droste-Hülshoff-Gymnasiums. Neben einer Fassbinder-Improvisation der Mittelstufe stand auch eine Inszenierung des RWF-Stücks „Preparadise Sorry Now“ auf dem Programm, das Martin Ganguly mit den Schülern der Oberstufe erarbeitet hat. Unter den begeisterten Zuschauern war auch der englische Theaterwissenschaftler David Barnett – Autor des Buchs „Rainer Werner Fassbinder and the German Theatre“. Von der Neuinterpretation des Stücks schwärmte er ebenso wie von der ganz eigenen Art der jungen Darsteller, ihre Texte zu sprechen. Im Schultheater wird Fassbinder schon seit Jahren immer beliebter. Man darf gespannt sein, was es in Zukunft noch alles zu sehen geben wird.

Der Herbst scheint zwar noch in weiter Ferne zu liegen, aber es gibt schon zwei Termine, die man sich vormerken kann. Zum Beispiel eine Berliner Retrospektive, die dem Regisseur Tsai Ming Liang gewidmet ist. Den gesamten September über stellt das Arsenal die zwölf sehenswerten Langfilme Tsais vor. Von der Presse wurde er einst als Fassbinder Taiwans beschrieben, und in Interviews hat er regelmäßig seine Liebe zum europäischen Autorenkino – unter seinen Lieblingsfilmen befindet sich auch ANGST ESSEN SEELE AUF – thematisiert. Stilistisch hat er zwar nicht allzu viel mit dem deutschen Regisseur zu tun, aber auch bei ihm finden sich Leitmotive wie emotionale Entfremdung, einseitiges Begehren und gesellschaftliche Ausbeutung. Mit aufrichtiger Sympathie für Außenseiter schafft er eine Welt, auf die man sich aufgrund ihrer ganz eigenen Zeitlichkeit erst einmal einlassen muss. Wo in herkömmlichen Filmen längst ein Schnitt gesetzt worden wäre, fängt es bei Tsai erst an, interessant zu werden. Das vollständige Programm der Reihe wird es zeitnah auf der Seite des Arsenals geben: http://www.arsenal-berlin.de/

Wir haben schon mehrmals davon berichtet, wie sich der Dramatiker und Regisseur Falk Richter in seinen Bühnenproduktionen „Fear“ und „Je suis Fassbinder“ von RWF inspirieren ließ. Am 1. September erscheint nun die Stückesammlung „Ich bin Europa“ im Verlag Theater der Zeit. Enthalten sind darin neben den genannten Werken noch drei weitere, neuere Bühnentexte. Vorbestellen kann man das Buch schon einmal auf der Website des Verlags: http://www.theaterderzeit.de/buch/ich_bin_europa/

Zum Abschluss möchten wir noch Karlheinz Braun nachträglich zu seinem 85. Geburtstag gratulieren. In dem von ihm mitgegründeten, demokratisch organisierten Verlag der Autoren war Fassbinder eines der ersten Mitglieder, das Braun einlud. Von Anfang an verstand sich der Verlag als Heimat junger Autoren. Heute liegen dort die Rechte von vielen RWF-Texten und Theaterstücken. In BERLIN ALEXANDERPLATZ war Braun außerdem als Rechtsanwalt Löwenhund zu sehen. Eine Würdigung zum Jubiläum kann man hier nachlesen: http://www.fr.de/frankfurt/karlheinz-braun-unsere-demos-waren-tanzvorfuehrungen-a-1307332

Am 1. August wird sich die Fassbinder Foundation in die Sommerferien verabschieden. Ab dem 9. September sind wir dann wieder ganz für Sie da und freuen uns schon auf zwei neue Blu-ray-Veröffentlichungen bei Studiocanal.

Bis dahin wünschen wir unseren Lesern und Freunden eine schöne Zeit

 

Foto links: DER FLUSS von Tsai Ming Liang © Taiwan Central Motion Picture Corporation
Foto rechts: Buchcover von Falk Richters „Ich bin Europa“ © Theater der Zeit Verlag

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