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Newsletter Mai 2017

Am 11. April erlebte die Filmwelt einen großen Verlust: Kameramann Michael Ballhaus verstarb im Alter von 81 Jahren. Mit Rainer Werner Fassbinder arbeitete er von WHITY bis DIE EHE DER MARIA BRAUN an 15 gemeinsamen Filmen. Gerhard Midding erinnert sich in der „Zeit“ an die Ausstellung „Fassbinder – JETZT“, die vor ein paar Jahren noch einmal vor Augen führte, „was für ein unverkennbares, stilbildendes und einflussreiches Markenzeichen die 360-Grad-Fahrt geworden ist, mit der Ballhaus erstmals 1973 in MARTHA experimentierte. Es ist ein magischer Augenblick, eine der unvergesslichsten Begegnungen der deutschen Filmgeschichte.“

Auch neben und nach seiner Arbeit mit Fassbinder trat Ballhaus als einer der prominentesten Kameramänner in Erscheinung. In Deutschland drehte er etwa mit Volker Schlöndorff, Ulrich Schamoni, Margarethe von Trotta und Peter Stein sowie später in Hollywood mit Regisseuren wie Mike Nichols, Wolfgang Petersen, Francis Ford Coppola und natürlich Martin Scorsese, mit dem ihn eine ähnlich intensive Zusammenarbeit verband wie mit Fassbinder.

In einem Interview mit dem Hollywood Reporter erinnert sich Scorsese an einen Freund und Kollegen, der keine Herausforderung scheute: „If we were running out of time and light, he would figure out a way to work faster. And if we were behind schedule and getting into a situation where we had to eliminate set-ups, he would sit down with me calmly and we would work it out together: instead of getting frustrated about what was being taken away, he would always think in terms of what we had.“

Immer wieder wird betont, wie es Ballhaus trotz Hollywood-Ruhm gelang, bodenständig zu bleiben. RWFF-Präsidentin Juliane Maria Lorenz erinnert sich an einen besonderen Weggefährten Fassbinders: „Dass er einer der seltenen Glücksfälle des deutschen Kinos war und der Welterfolg von DIE EHE DER MARIA BRAUN ihm auch das Tor zum Filmmekka Hollywood öffnete, hat weniger mit Zufall oder dem Namen Fassbinder zu tun als mit Michael Ballhaus selbst, der stets neugierig blieb und sein Talent in den Dienst des Berufes stellte.“

Und noch ein weiterer Todesfall überschattete den April. Die Schauspielerin Christine Kaufmann verstarb im Alter von 72 Jahren. Ihre Karriere umfasste ein halbes Jahrhundert Kinogeschichte. Als junges Mädchen war sie bereits neben Romy Schneider in Géza von Radványis MÄDCHEN IN UNIFORM zu sehen. Später führte sie ihr Weg nach Italien, Hollywood und auch wieder zurück nach Deutschland, wo sie in Fassbinder-Filmen wie LILI MARLEEN und LOLA vor der Kamera stand. Angesichts ihrer bewegten Laufbahn sagte sie einmal bescheiden: „Ich weiß, dass ich nicht immer gut war, aber ich wirkte immer begabt.“

Ein Regisseur, mit dem Christine Kaufmann mehrmals zusammenarbeitete, war der Theatermann Peter Zadek. Das Filmkollektiv Frankfurt zeigt im Deutschen Filmmuseum vom 5. bis zum 7. Mai eine Reihe mit seinen Filmen. In den frühen 1970er Jahren inszenierte Fassbinder unter Zadeks Intendanz am Bochumer Schauspielhaus. Diese Kooperation war zunächst alles andere als harmonisch. So kaufte sich RWF etwa einen Hund, den er Zadek nannte und in Anwesenheit des Intendanten provokativ herumkommandierte. Später entspannte sich das Verhältnis. Fassbinder widmete seinem Kollegen den Film DIE EHE DER MARIA BRAUN und erzählte 1979 in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, dass Zadek für ihn „eine wichtige Person“ wurde, jemand, mit dem er reden konnte. Das gesamte Programm der Reihe findet sich hier: http://www.filmkollektiv-frankfurt.de/veranstaltungen/peter-zadek

Eine Filmreihe, an wir noch einmal erinnern wollen, ist die große Fassbinder-Retrospektive im Londoner British Film Institute, die noch den gesamten Mai über läuft. Das auffällig junge Publikum, das man hier antrifft, lässt darauf schließen, dass sich gerade eine neue Generation mit Fassbinders Werk auseinandersetzt. Einen Programmüberblick gibt es hier: https://whatson.bfi.org.uk/Online/default.asp?BOparam::WScontent::loadArticle::permalink=fassbinder&BOparam::WScontent::loadArticle::context_id= EN

In unmittelbarer Nähe des BFIs, in der Tate Modern, findet gerade eine große Einzelausstellung von Wolfgang Tillmans statt. Während viele seiner Fotografien auf den ersten Blick wie Schnappschüsse aussehen, offenbart sich bei sorgfältigerer Betrachtung, wie behutsam verdichtet sie sind und wie gerade in der Beiläufigkeit Platz für politische Kommentare und gesellschaftliche Utopien bleibt. Neben Freunden und Bekannten fotografiert Tillmans auch immer wieder Prominente. Zwei dieser intimen Porträts aus dem Jahr 2000 zeigen zum Beispiel die Fassbinder-Schauspielerin Irm Hermann. Die Ausstellung ist noch bis zum 11. Juni zu sehen. Nähere Informationen gibt es hier: http://www.tate.org.uk/whats-on/tate-modern/exhibition/wolfgang-tillmans-2017 EN

Hingewiesen sei auch noch einmal auf Aureliusz Śmigiels Inszenierung von „In einem Jahr mit 13 Monden“ am Residenztheater. In seiner Premierenkritik schrieb der Münchner Merkur: „In 75 konzentrierten Minuten erzählt der polnische Regisseur eine traurige Passionsgeschichte.“ Besonders hervorgehoben wird Thomas Loibl als transsexuelle Protagonistin: „Nie rutscht sein Spiel mit der Geschlechterrolle in alberne Travestie ab, stets begegnet er seiner Figur mit allergrößtem Respekt.“ (Zur kompletten Rezension geht es hier: https://www.merkur.de/kultur/polnische-regisseur-aureliusz-migiel-inszenierte-fuers-muenchner-residenztheater-in-einem-jahr-mit-13-monden-nach-rainer-werner-fassbinder-7706633.html) Die nächsten Vorführungen sind am 28. Mai sowie am 14. und 18. Juni. Tickets gibt es hier: https://www.residenztheater.de/inszenierung/einem-jahr-mit-13-monden DE

Und noch ein Ausblick auf das Filmfestival in Cannes, das vom 17. bis zum 28. Mai stattfinden wird. Gleich mehrere Künstler mit Fassbinder-Bezug sind dort vertreten. Jury-Präsident ist etwa der spanische Regisseur Pedro Almódovar, der mit seinen bunten Melodramen durchaus als Erbe des deutschen Filmemachers gesehen werden kann und sich selbst einmal als den neuen Fassbinder bezeichnete. Im Wettbewerb vertreten sind außerdem Todd Haynes, der eine Traditionslinie fortsetzt, die bei Douglas Sirk beginnt und von Fassbinder fortgesetzt wurde, François Ozon, der RWFs Theaterstück „Tropfen auf heiße Steine“ für die Leinwand adaptierte, sowie Andrei Swjaginzew, der 2003 den von der RWFF mitverliehenen Fassbinder-Preis erhielt. Man darf gespannt sein, was das Festival bringen wird.

Bis dahin wünschen wir unseren Lesern und Freunden einen aufregenden Mai und melden uns im Juni wieder mit Neuigkeiten rund um Rainer Werner Fassbinder.

 

Foto links:  Michael Ballhaus und Rainer Werner Fassbinder am Set von WELT AM DRAHT © DIF Sammlung Peter Gauhe

Foto rechts: Christine Kaufmann in LILI MARLEEN © Roxy Film

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