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„Als würde ich in meinem eigenen Traum herumspazieren“

30.07.2005
„Als würde ich in meinem eigenen Traum herumspazieren“

Ein Treffen mit Hanna Schygulla in New York

A. Köhler, Neue Zürcher Zeitung

Sie hatte ein Hakenkreuz in ihrem Pass. Hanna Schygulla, 1943 an der polnischen Grenze geboren, ist in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen. Ihre Eltern flohen „aus dem Land der Kohle-Minen“ nach München. Hanna, ein Flüchtlingskind „mit einem komischen Namen“, hat sich „immer mit den Fremden, dem Fremdsein überhaupt, identifiziert“. Seit vielen Jahren lebt sie in Paris. Und doch singt sie bei ihrem Auftritt im Museum of Modern Art in New York urdeutsche Melodien.
Erinnert man sich noch an sie? Hanna Schygulla badet in dem Applaus, der ihr an diesem Abend im Filmtheater des MoMA reichlich gespendet wird. Sie singt Chansons und die Lieder von früher: „Ein Männlein steht im Walde“, „Am Brunnen vor dem Tore“. Lieder der Kindheit; eine deutsche Diva im schwarzen, eng anliegenden Kleid. Ihr Gesicht verkörperte einmal das Gesicht der jungen Bundesrepublik Deutschland. Sie war Maria (nicht Eva) Braun, Lili Marleen, Effi Briest. Sie spielte in „Katzelmacher“, in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, in „Liebe ist kälter als der Tod“. Godard hat mit ihr gedreht, Ettore Scola, Wim Wenders, Carlos Saura und Kenneth Branagh. Anlässlich einer Retrospektive ihrer Filme im Museum of Modern Art ist Hanna Schygulla nun nach New York gekommen.

Ihre Gesichter

Da sitzt sie im Foyer eines altmodischen Hotels, die langen Haare ein wenig aufgelöst, mit Lesebrille und weiter Bluse, gar nicht divenhaft, aber gewohnt, kaum aus dem Bett, schon Interviews zu geben. Und wer erinnert sich nicht an sie? Meine amerikanischen Freunde waren alle verliebt in Hanna Schygulla. Sie war ja nicht nur bei uns die „Fassbinder-Ikone“, sie war in den USA ein Star. „Nur zwei deutsche Schauspielerinnen haben auf Dauer die Phantasie, das Interesse und die Begeisterung der Amerikaner erregt“, schreibt Laurence Kardish, der Leiter des Film-Departments im Museum of Modern Art, in einem Beitrag zu einem „Hanna-Schygulla-Album“, das letztes Jahr anlässlich ihres 60. Geburtstags bei Schirmer und Mosel erschien. „Die eine, Marlene Dietrich, hatte nur einen deutschen Tonfilm gedreht, bevor sie in den USA Karriere machte. Die andere, Hanna Schygulla – der ungewöhnlichere Fall -, betörte Amerika von Europa aus.“ Die Amerikaner – und jedenfalls die New Yorker – lieben „die Schygulla“ noch immer.
„Europas aufregendste Schauspielerin“ kam 1985 auf das Cover des „Time Magazine“. 1983 fotografierte Irving Penn die „Screen Queen“ für das Titelblatt von „Vanity Fair“. Eine schöne Frau, an deren Attraktivität ihre Warmherzigkeit keinen geringen Anteil hat. Sie habe manchmal so eine Unendlichkeit im Gesicht, hat der Regisseur Marco Ferreri einmal zu ihr gesagt und damit wohl etwas getroffen. Ja, sie war ein Star, aber „beileibe kein kalter“, wie Peter Handke in einem Drehbuchentwurf „Für Hanna Schygulla“ schreibt. Vor dieser Art „Startum“ seien die Zuschauer klein geworden, „däumlingsklein, kinderklein, wirklichklein, traumklein, märchenklein, statt unwirklich gross wie in den Geschichten, die inzwischen aktuell sind“.
Ihre Gesichter, mal mädchenhaft, manchmal lasziv, manchmal geradezu bäuerlich, änderten sich eigentlich nur um Nuancen. Dazu die somnambule, in sich ruhende Trägheit ihrer Bewegungen, ihre Kindlichkeit, ja Naivität, gepaart mit einer Art unschuldiger Frivolität. Hanna Schygulla erinnere sie in den frühen Fassbinder-Filmen immer an ein Seidentuch, das jemand in die Luft geworfen hat, schrieb Elfriede Jelinek, „und während es in der Schwebe hängt, werden Bilder darauf projiziert“. Sie war eine, die einfach dasitzen konnte, auf einer Bank, regungslos, in „Katzelmacher“ zum Beispiel, minutenlang schweigend, diese Unendlichkeit im Gesicht. Daneben, den Kopf an ihre Schulter gelehnt, kindlich und fordernd, Rainer Werner Fassbinder, ihr Regisseur.

Fassbinder

Kennen gelernt haben sie sich 1966 auf einer Münchner Schauspielschule, an einem jener Abende, die Fassbinder einmal (in seinem Text „Über Hanna Schygulla“) als „Lehrstunden tiefster Verzweiflung“ bezeichnete. Damals wurde ihm „ganz plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, wie von einem Blitz getroffen, glasklar, dass die Schygulla einmal der Star meiner Filme“ werden würde. „Der mag mich nicht“, hat Hanna Schygulla damals gedacht. Fast zwanzig Jahre später war sich Fassbinder „übrigens sicher, dass die Schygulla und ich in all den Jahren keinen, wirklich keinen einzigen privaten Satz gewechselt haben“. Liebe ist kälter als der Tod. Hat er sie geliebt?
Er hat sie geliebt, „auf seine Art schon“. Doch seine Art Liebe war nicht leicht auszuhalten, da war auch seine „Zerfleischungswut“, sein Unbedingtheitsanspruch, die Tyrannei. Auch sie hat ihn geliebt, auf ihre Art, doch ihre Arten passten nicht gut zusammen: ein Machtmensch, „einer, der mit der Liebe nicht gut zurecht kam“. Abhängigkeit galt ihm als Liebesbeweis. Und doch hat sie sich als „sein Geschöpf“ bezeichnet. Hatte sie Angst vor ihm? Ja, denn „wie er Menschen zum Leuchten bringen konnte, konnte er Menschen auslöschen“. Man durfte sich nicht zu nahe kommen. Vielleicht aber, meint sie heute, „wäre dann ja auch ein Wunder passiert“. Hanna Schygulla glaubt an Wunder, oder doch an die glückliche Fügung. „Zufälle sind das höchste Stimulans im Leben“, sagt sie. Sie hat die Zufälle ihres Lebens stets „als Geheimschrift empfunden“ – wenn sie sie auch nicht immer entziffern konnte. So war ihr Weg traumwandlerisch, mehr noch: „als würde ich in meinem eigenen Traum herumspazieren“. Dass sie dabei auch den Traum ihrer Mutter erfüllt hat, ist ihr erst spät klar geworden. Als sie die Lili Marleen spielte, sagte die Mutter: „Das hätte ich nie gedacht, dass ausgerechnet meine Tochter einmal das sein darf, was mich so zum Träumen gebracht hat.“ Die Eltern waren dagegen, dass die Tochter Schauspielerin wurde.
Hanna Schygulla hat Mitte der achtziger Jahre ihre Karriere abgebrochen, um ihre Mutter zu pflegen, die nach einem Schlaganfall in ein Heim für Geistigbehinderte eingeliefert werden sollte. Das kam nicht in Frage. Es war just der Zeitpunkt, als sie sich entschlossen hatte, doch noch ein Kind zu haben. Sie war 44, die Adoption war schon in die Wege geleitet. Da war die Fügung gegen den Traum. Sie habe „ungeheuer viel Zeit ans Alter gegeben“. Sie sagt das ohne Bedauern.
Der Eindruck, dass sie „immer unter dem blieb, was ich meinem Gefühl nach hätte leisten können“, hat sie freilich nie ganz verlassen. Inzwischen ist sich Hanna Schygulla aber „eigentlich sicher, dass im Alter noch eine Rolle auf mich wartet“. Fassbinder habe die schönsten Rollen ja damals für Brigitte Mira geschrieben . . . Es könnte aber auch sein, „dass sich erst im Tod verwirklicht, was man sich vorgestellt hat“.
Andrea Köhler

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