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Vor 40 Jahren: RWFs BREMER FREIHEIT und WILDWECHSEL

Bild 2 - rechte Seitenbande zu WILDWECHSELGiftmorde und ein hanebüchener Skandal zum Jahreswechsel 1972/73

Am 27. Dezember 1972 wurde BREMER FREIHEIT erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt und ab dem 30. Dezember 1972 erregte WILDWECHSEL die bundesrepublikanischen Gemüter. In beiden „Fällen“ geht es um den Versuch der Charaktere sich durch Mord aus der Enge herrschender gesellschaftlicher Konventionen und Missstände zu befreien. Beide Werke gehen unmittelbar auf Theatervorlagen zurück.

Bei BREMER FREIHEIT handelt es sich um eine Fernsehbearbeitung unter Verwendung von Spielelementen, die von Rainer Werner Fassbinder mit dem Ensemble des Bremer Schauspielhauses entwickelt worden waren. Dort hatte RWF das Stück im Dezember 1971 u.a. mit Margit Carstensen, Wolfgang Schenck, Kurt Raab und Fritz Schediwy inszeniert. In der filmischen Umsetzung spielt Margit Carstensen wieder die Geesche Gottfried, die nach einer wahren Begebenheit aus dem 19. Jahrhundert insgesamt 15 Menschen aus ihrer Familie, darunter ihre Mutter, Ehemänner und Kinder, sowie Personen aus ihrer näheren Umgebung durch Arsen umbringt. „Das Motiv der Mörderin interessiert in diesem Stück, nicht ihre Überführung. Geesche Gottfried mordet, weil sie frei sein will, weil sie nicht ‚Haustier’ sein will der Männer.“

Die Telefilm Saar stellte das Fernsehspiel im September 1972 über 9 Tage in einem Saarbrücker Studio her. Die Kosten betrugen 240.000 DM. Es handelte sich um eine Auftragsproduktion des Saarländischen Rundfunks (SR). Die Bildschirmpremiere fand auf den südwestdeutschen dritten Programmen SR, SWR und SDR statt.

Noch vor dem Jahreswechsel 1972/73 gab es am 30. Dezember im Münchner Kino Royal-Palast eine Vorpremiere des später zum Skandalfilm erklärten WILDWECHSEL nach dem Bühnenstück von Franz Xaver Kroetz, der sich von der Fassbinder-Adaption deutlich distanzierte. Für ihn war der Film seinerzeit nicht mehr als „Pornographie mit sozialkritischem Touch“. Seinem Bühnenstück liegt ein Kriminalfall aus den 1960er Jahren zu Grunde.

Im Film selbst gehen die 13-jährige Hanni (Eva Mattes) und der 19-jährige Franz (Harry Baer) eine sexuelle Beziehung ein. Hannis Eltern sind gegen die Verbindung, vor allem aber ihr Vater verbietet sie strikt. Franz muss wegen Verführung einer Minderjährigen ins Gefängnis. Nach der Haftentlassung setzt er das Verhältnis mit Hanni dennoch fort, die bald darauf schwanger wird. Sie überredet ihn, ihren Vater zu erschießen, weil er ihrer Liebe im Wege steht.

Kroetz und Fassbinder bezogen in der damaligen Kontroverse um WILDWECHSEL vehement Stellung. In einem Interview sagt Kroetz: „Obszön nenne ich die Denunzierung der Menschen, die der Film betreibt. Das Mädchen ist kein frühnymphomanisches Flittchen, es versucht doch nur aus der katholischen Engstirnigkeit des Elternhauses herauszukommen und erlebt dabei eine wunderbare Liebesgeschichte. Auch der Junge ist kein Triebidiot, sondern ein liebesbedürftiger Mensch.“ (In: Abendzeitung München, 08.03.1973)

Fassbinder antwortet in einem offenen Brief: „Sag halt ehrlich, was Dich geniert. […] Alles, was drin ist im Film, das ist auch im Stück. Mag sein, dass Dich das geniert. Aber das wäre nicht nötig, so schlecht ist Dein Stück gar nicht, ehrlich.“ (In: Abendzeitung München, 12.03.1973; nachgedruckt in: Rainer Werner Fassbinder: Filme befreien den Kopf. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1984, S. 123-124)

Gedreht worden war im Auftrag des Senders Freies Berlin (SFB) von der Intertel Television München im niederbayerischen Straubing und in der Umgebung. Die Drehzeit betrug 14 Tage im März 1972. Die Kosten beliefen sich auf 550.000 DM. Aufgrund der im Film enthaltenen Nacktszenen hatte die Freiwillige Selbstkontrolle  der Filmwirtschaft (FSK) nach ihrer Prüfung die Altersfreigabe „ab 18“ erteilt. Die Erstausstrahlung der von den Schnittauflagen unberührten Fassung im deutschen Fernsehen fand am 09. Januar 1973 durch den SFB statt. Die Filmbewertungsstelle (FBW) verlieh dann der von der FSK für die Kinoauswertung freigegebenen Verleihfassung das Prädikat „besonders wertvoll“. Der offizielle Kinostart war am 08. März 1973 wiederum in München im Luitpold-Theater (Lichtspiele).

Mehr Informationen:

RWFF Filmografie zu BREMER FREIHEIT
RWFF Filmografie zu WILDWECHSEL

Foto links: © RWFF

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