Welt am Draht
Das wichtigste Projekt im Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung ist Simulacron 1 – ein elektronisches Monstrum, das die herkömmliche Computertechnologie auf eine neue Stufe heben soll. Simulacron kann, wenn es funktionsfähig geworden ist, gesellschaftliche, ökonomische und politische Vorgänge der Zukunft derart exakt voraussagen, als fänden sie hier und heute statt, als seien sie Wirklichkeit. Damit ist Simulacron zumindest für zwei Parteien interessant: für diejenigen, denen an einer Verbesserung der zukünftigen Lebensverhältnisse gelegen ist – und für diejenigen, die sich einen Informationsvorteil gegenüber etwaigen Konkurrenten versprechen, was, sagen wir, die Situation auf dem Aluminiummarkt betrifft.
Initiator und Leiter des Forschungsprojekts ist Professor Vollmer (Adrian Hoven). Er stirbt unter rätselhaften Umständen – man einigt sich schnell auf Selbstmord, hat er doch kurz vor seinem Tode Zeichen einer eigenartigen geistigen Verwirrung an den Tag gelegt. Siskins (Karl Heinz Vosgerau), allmächtiger Chef des Instituts, macht Dr. Stiller (Klaus Löwitsch) zu seinem Nachfolger, den engsten Mitarbeiter des Verstorbenen. Aber bald registrieren die Kollegen auch an Stiller merkwürdige Symptome: Er behauptet, dass der Sicherheitschef des Instituts, Günther Lause (Ivan Desny), spurlos verschwunden sei, während alle wissen, dass der tatsächliche Sicherheitschef Hans Edelkern (Joachim Hansen) heißt und munter wie ein Fisch im Wasser ist. Er redet von einem Versuch, ihn, Stiller, umzubringen – es liegt auf der Hand, dass es sich um einen normalen Unfall gehandelt hatte. Und er widersetzt sich der Absicht seines Vorgesetzten Siskins, spezielle Hochrechnungen von Simulacron vorab an Privatpersonen weiterzugeben. Stiller ist offenbar der nervlichen Belastung nicht gewachsen, die seine neue Verantwortung mit sich bringt. Er leidet unter Schwindelanfällen, er erkennt Menschen nicht wieder, die er eigentlich gut kennen müsste, und er redet stattdessen von Menschen, die außer ihm keiner kennt.
Stiller versucht, seine Probleme über der Arbeit an Simulacron zu vergessen. Simulacron ist für ihn nicht einfach eine leblose Maschine, sondern wird immer mehr zu einer Art Miniaturwelt, und obwohl Stiller natürlich weiß, dass die sogenannten Identitätseinheiten in Simulacron nichts anderes sind als das Ergebnis von komplizierten elektronischen Vorgängen, erscheinen sie ihm manchmal wie wirkliche Menschen – denen sie ja auch nachgebildet sind und die sich in ihren Verhaltensweisen von wirklichen Menschen schon deshalb nicht unterscheiden dürfen, weil sie ja hundertprozentig genaue Voraussagen über menschliches Verhalten ermöglichen sollen.
Ist Stiller schizophren? Das glauben viele – bis eines Tages Stiller bei einer routinemäßigen Transferierung seines Bewusstseins in die Schaltkreise von Simulacron dort einen alten Bekannten wiederzusehen glaubt: Günter Lause, den Sicherheitschef des Instituts für Kybernetik und Zukunftsforschung, von dem außer Stiller jedermann behauptet, dass er nie existiert hat.
WELT AM DRAHT spielt nicht hier, aber auch nicht woanders, spielt nicht in der Gegenwart, aber auch nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft. WELT AM DRAHT spielt in einer künstlichen Welt und in einer künstlichen Zeit – eine Fiktion, eine Hypothese, ein Denkmodell, nicht mehr. Und nicht weniger.